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RISIKO MANAGER 10.2019

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RISIKO MANAGER ist das führende Medium für alle Experten des Financial Risk Managements in Banken, Sparkassen und Versicherungen. Mit Themen aus den Bereichen Kreditrisiko, Marktrisiko, OpRisk, ERM und Regulierung vermittelt RISIKO MANAGER seinen Lesern hochkarätige Einschätzungen und umfassendes Wissen für fortschrittliches Risikomanagement.

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4 RISIKO MANAGER 10|2019 Gedanken des Chefredakteurs zur letzten Ausgabe Fichten und Eichen … Liebe Leserinnen und Leser! Monokulturen im Wald schaden der Artenvielfalt und zerstören das Öko-System. Und seit einigen Jahren wissen wir sogar, basierend auf wissenschaftlichen Studien, dass auch die Produktivität der Mischwälder höher ist. So zeigt beispielsweise eine Studie der Universität Freiburg und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, dass Mischbestände mit mehreren Baumarten eine um bis zu 50 Prozent höhere Produktivität aufweisen als Monokulturen. Auch Monokulturen in Volkswirtschaften führen zu einem höheren Systemrisiko. Bereits im Jahr 2002 hat der damalige Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in einem Interview mit der Zeitschrift RATING aktuell auf meine Frage nach den Wegen zu einer höheren Stabilität des Bankwesens geantwortet, dass die Banken sich den Weg in eine erfolgreiche Zukunft verbauen würden, wenn sie keine internen Modelle entwickeln und einsetzen würden. „Davon abgesehen ist Basel II keine Zusatzbelastung für die Institute, sondern ein Regelwerk, das ihnen große Vorteile bringen wird und in das zu investieren sich lohnt. Ich fühle mich dem Grundsatz verpflichtet, dass die Bankenaufsicht den Instituten keine unnötigen Lasten auferlegen darf“, so Jochen Sanio vor rund 17 Jahren. Im Gespräch dabei war Sabine Lautenschläger, zum damaligen Zeitpunkt Pressechefin und bis zum 31. Oktober 2019 Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank. Die Richtung der Aufseher war klar vorgezeichnet: Heterogenität, also der „Mischwald“, erzeugt Stabilität und Robustheit des gesamten Systems und schafft auch noch einen Mehrwert für die Marktteilnehmer. Daher hat sich die Zeitschrift RATING aktuell – als Vorgängerformat des Fachmagazins RISIKO MANAGER – seit dem Jahr 2002 mit fortschrittlichen Methoden im Bereich Kredit- und Marktrisiken beschäftigt und das damals noch junge Thema mit Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis aus der Taufe gehoben. Anfang 2006 habe ich gemeinsam mit Stefan Hirschmann beim Bank-Verlag die Zeitschrift RISIKO MANA- GER, in die auch die Zeitschrift „Risk, Compliance & Audit“ integriert wurde, konzipiert und umgesetzt. In damals noch 26 Ausgaben pro Jahr haben wir methodische Brücken gebaut zwischen Wissenschaft und Praxis und regelmäßig Impulse geliefert für die Weiterentwicklung des Reifegrads im Risikomanagement. Schwerpunkt waren auch hier hochkarätige Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Dahinter stand die Tatsache, dass Systeme dann eine maximale Resilienz und eine höhere Fähigkeit zum Umgang mit Störungen aufweisen, wenn Monokulturen vermieden werden. Doch in den letzten Jahren haben sich die RISIKO MANAGER-Inhalte massiv geändert. Die Finanzkrise gilt als Zäsur: Statt Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen, ging es von nun an im Wesentlichen um die Umsetzung von Regulierung in der Folge der letzten Finanzmarktkrise. Gemeinsam mit unseren Autoren sind wir in die Tiefen der regulatorischen Buchstabensuppe (MiFID II, MiFIR, EMIR II, AIM- FD, BCBS 293, LCR, NSFR, TLAC/MREL, BDD, LCRREPR etc.) eingetaucht. Parallel zum exponentiellen Wachstum der Textmenge haben sich auch die Inhalte verschoben. Von da an haben wir uns vor allem mit einem engmaschigen Netz der Mikroüberwachung beschäftigt, das über die Bankenund Versicherungswelt gelegt wurde. Von Regulatoren und Politikern wurde regelmäßig behauptet, dass das alte Regelwerk von Basel II versagt hätte – eine Behauptung, die möglicherweise von den eigentlichen Ursachen ablenken sollte und eher auf einer verhängnisvollen „Schwarzer-Peter-Strategie“ basiert. Daher haben seit der Finanz- und Bankenkrise verbindliche Formulierungen in der Regulierung, wie beispielsweise „to need to“, „to be required to“ und „must“, massiv zugenommen. Statt eines Mischwalds geht es immer häufiger um eine Monokultur. Statt die Pflege von Eichen, Tannen, Fichten, Kiefern, Rotbuchen, Lärchen, Linden etc. zu fördern, konzentrieren sich Marktteilnehmer ausschließlich auf die Pflege von Fichten. Und Fichten sind Flachwurzler, ohne allzu große Widerstandsfähigkeit. Nach dem nächsten Sturm wird man das Ergebnis sehen können. Und unsere aktuelle „Red Tape“-Regulierung will Probleme lösen, für die der angeblich „unkontrollierte Markt“ die Verantwortung trägt. Was ist das Ergebnis? Eine innerbetriebliche Subkultur von Compliance und Regulierung und eine außerbetriebliche

5 Bürokratie ersticken jegliche Innovation und freie Wirtschaft. Fragen, wo der Mehrwert liegt, ob das System robuster geworden ist oder ob das Systemrisiko reduziert wurde, werden nur zu selten gestellt und noch weniger beantwortet. Das Ergebnis sind nahezu planwirtschaftliche Strukturen. Dabei wäre das beste Regulativ für Unternehmen das potenzielle „Damoklesschwert des Scheiterns“. Das bittere Ergebnis der Regulierung? Basierend auf einer aktuellen Studie der EU-Bankenbehörde EBA fehlen den Banken in der Europäischen Union 135 Mrd. , um die künftigen Kapitalvorschriften zu erfüllen. Nur rund jede zwölfte Bank kann ihre Eigenkapitalkosten verdienen. Die Hauptertragsquelle, der Zinsüberschuss, leidet weiterhin unter einer planwirtschaftlichen Geldpolitik der EZB. Und während AliPay & Co. die Geschäftsmodelle der etablierten Unternehmen untergraben, beschäftigen sich unsere Banken mit funktionalen Subkulturen im Bereich Compliance und Risikomanagement. Fortschritte in Innovation, Qualität und Produktivität entstehen nicht in der Folge von Regulierung, sondern durch kluge Köpfe und innovative und nachhaltige Strategien. „Corruptissima re publica plurimae leges“ (Der korrupteste Staat hat die meisten Gesetze), wusste bereits Publius Cornelius Tacitus, der römische Historiker und Senator. Kommen wir zurück zum Brückenbau zwischen Wissenschaft und Praxis: Seit dem Jahr 2002 haben wir immer wieder über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden und deren Transfer in die Praxis berichtet. So wäre die letzte Finanzkrise eine Chance gewesen, ernsthaft über methodische Fortschritte im Risikomanagement nachzudenken. Stattdessen haben wir in vielen Unternehmen eine durch Compliance und Regulierung geförderte Mono- und Subkultur im Risikomanagement aufgebaut, deren Sinnhaftigkeit sich nur wenigen Akteuren erschließt. Bei einem Blick auf zukünftige Regulierungsbestrebungen durch die Finanzaufsicht muss zwingend der sich durch die Digitalisierung radikal verändernde Finanzdienstleistungsmarkt in die Überlegungen einfließen. Das „Überstülpen“ von reinen „One size fits all“-Standards birgt gar die Gefahr eines Systemrisikos in sich, denn bankenspezifische Fragen und Themenstellungen einzelner Marktteilnehmer können so schwerlich beantwortet werden. Und während sich die Regulierung um die Pflege der Monokulturen kümmert, entstehen draußen im Markt neue und disruptive Geschäftsmodelle (siehe Libra, Alipay-Versicherer Taikang, ApplePay etc.) und vor allem innovative Methoden aus der Big-Data- und Risk-Analytics-Welt. Die letzte Finanzkrise hat uns viele Argumente für die Weiterentwicklung von Risikomodellen und Risikomanagement-Systemen serviert. Und viele Schwächen der in der Praxis üblichen Methoden und Modelle sind seit Langem bekannt. Regulatoren müssen erkennen, dass sich die Finanzmarktregulierung in eine Sackgasse manövriert und das Bankensystem keinesfalls resilienter gemacht hat. Vielmehr hat die Monokultur der Regulierung ein nicht unerhebliches Systemrisiko aufgebaut. Mit einem weinenden Auge verabschiede ich mich mit dieser letzten Ausgabe 10/2019 nach rund 17 Jahren als verantwortlicher Chefredakteur von unseren treuen Lesern. Herzlichen Dank an Sie als Autor, Diskussionspartner, kritischer Begleiter unserer Fachzeitschrift. Herzlichen Dank auch an meine Weggefährten und Redaktionskollegen Dr. Stefan Hirschmann, Prof. Dr. Roland F. Erben, Thorsten Manns, Prof. Dr. Matthias Scherer, Anja U. Kraus und Dogan-Michael Ulusoy. Gemeinsam haben wir viele Brücken gebaut und mit einem Körnchen Salz immer wieder kritische Fragen gestellt. Wir waren die ersten, die über Solvency II berichtet haben und die ersten, die eine wissenschaftlich fundierte Studie zu Rating- und Kreditrisikosystemen erstellt und veröffentlich haben. Mein hoch geschätzter Redaktionskollege Matthias Scherer vom Lehrstuhl für Finanzmathematik an der Technischen Universität München und ich werden uns auch in der Zukunft dafür engagieren, dass sich der Reifegrad im Risikomanagement durch „Mischwälder“ erhöht. Bleiben wir im Dialog! Ich freue mich! Frank Romeike Verantwortlicher Chefredakteur RISIKO MANAGER

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