28 firm Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung „Der Faktor Mensch wird weiterhin eine Rolle spielen …“ Über den digitalen Wandel in der Finanzindustrie ist viel gesagt. Doch welche Analysemethoden bestimmen zukünftig die Branche? Was verbirgt sich hinter Location Intelligence (LI)? Wie können Banken von LI profitieren? Und welche Entwicklungen warten in den kommenden Jahren auf das Bankenumfeld? Fragen, die Burchard Hillmann-Köster, Experte im Bereich Location Intelligence/Customer Information Management beim Unternehmen Pitney Bowes, in unserem FIRM-Interview beantwortet. FIRM-Redaktion: Die Finanzbranche ist im Wandel und mit ihr gewinnen neue Analyse- und Reporting-Methoden immer mehr an Gewicht. Wie beurteilen Sie diesen Wandel, und gibt es aus Ihrer täglichen Arbeit heraus Prozesse oder Tendenzen, die Sie im Finanzbereich kritisch sehen? Burchard Hillmann-Köster: Der Wandel in der Finanzbranche, wie auch in der übrigen Wirtschaftswelt, wird von drei Themen getrieben, die untereinander in Abhängigkeit stehen: digitale Transformation, Regulierung und die geänderten Erwartungshaltungen der Kunden. Die digitale Transformation verändert die Geschäftsmodelle der Finanzbranche. Traditionelle Produktions- und Dienstleistungsstrukturen werden schrittweise durch „digitale“ Strukturen sowie verteilte und vernetzte Informationen abgelöst. Zudem werden diese in immer kürzeren Zeitabständen ausgewertet, angereichert, „intelligent“ vernetzt und immer stärker automatisiert weiterverarbeitet. Die Zahl der regulatorischen Anforderungen in der Finanzbranche wird einerseits weiter ansteigen und somit die Compliance-Anforderungen. Tendenziell wird zudem der behördliche Sanktionsrahmen bei Verstößen empfindlich erhöht – Stichwort EU-Datenschutzgrundverordnung. Andererseits lassen sich größere Datenmengen zunehmend elektronisch auswerten. Insbesondere standardisierte Tätigkeiten werden schrittweise durch Technik oder künstliche Intelligenz ersetzt. Dort, wo der Faktor Mensch unerlässlich ist, wird deren Effizienz durch unterstützende Systeme vorangetrieben. Die Kunden sind heute stärker als jemals zuvor mit Marken und untereinander vernetzt. Sie wissen besser, was sie wollen, und sind besser darüber informiert, woher und wie sie das Gewünschte erhalten. Ein und derselbe Kunde hat in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Erwartungshaltungen. Die heute marktführenden Unternehmen antizipieren und erfüllen die Wünsche und Anforderungen ihrer Kunden. Die Kundenerfahrung ist das A und O. Je mehr Touchpoints Finanzinstitute dem Kunden bieten, je persönlicher deren Dialog mit dem Kunden ist, und je höher der Mehrwert ist, den die Finanzinstitute für die Kundenbeziehung schaffen können, desto größer sind die Erfolgschancen. Daten sind dabei der Treibstoff für alle drei Themen. Sie bieten die notwendigen Erkenntnisse, z. B. zur Schaffung der persönlichen Erfahrung, auf die die Kunden Wert legen, oder dienen zur Identifizierung der Geschäftspartner im Bereich Geldwäsche. Der erfolgreiche digitale Wandel hängt in starkem Maße von der Art der gesammelten Daten, deren Qualität, der Vernetzung und dem Prozess zur optimalen Nutzung dieser Daten ab. FIRM-Redaktion: Location Intelligence, kurz LI, ist eines der „Aushängeschilder“ von Pitney Bowes. Was genau sind die Vorteile eines professionellen LI-Prozesses, gerade mit Blick auf das Bankenumfeld? Burchard Hillmann-Köster: Es ist wichtig zu verstehen, dass Location Intelligence kein isolierter Vorgang ist. Finanzinstitute, die ihre bestehenden Daten mit Geokoordinaten anreichern und neuen Datenquellen Geokoordinaten hinzufügen, können von beträchtlichen Vorteilen profitieren, neue Möglichkeiten erschließen und das Kundenerlebnis verbessern. Location Intelligence beginnt mit der Adressvalidierung und -korrektur – Stichwort Datenqualität. Im 2. Schritt werden die Adressdaten geokodiert, bei der die Adressen um Geokoordinaten (Breiten- und Längengrade) angereichert werden. Anschließend sind die Daten für die Analyse nutzbar, um ein besseres Verständnis von Menschen, Orten und Dingen und deren Zusammenspiel zu gewinnen. Der wahre Wert erschließt sich, wenn man diese Daten unternehmensweit in den verschiedensten Prozessen und Fachbereichen verfügbar machen kann und mit externen Marktdaten ergänzt. FIRM-Redaktion: Können Sie den Lesern ein kurzes Beispiel aus der Praxis benennen? Burchard Hillmann-Köster: Klassische Beispiele sind die Immobilienbewertungen für die Kreditvergabe; Hinweise geben, wo Finanzinstitute ihre Geldautomaten und Filialen errichten sollten oder Regionalleiter einer Bank bei der Bewertung von Umsatzpotenzialen zu unterstützen, indem sie deren Einzugsbereich und Marktpotenzial basierend auf demografischen Daten und Transaktionsdaten analysieren. Eine zunehmende Nachfrage sehen wir auch im Zusammenhang mit einer zentralen Sicht auf den Kunden (Single View of Customer). Hierbei ist es das Ziel, den Kunden kontextrelevante Informationen, Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen, um die Kundenbindung zu erhöhen.
29 Ausgabe 08/2018 Location Intelligence hilft hierbei, kontextbezogene Fragen zum Standort des Kunden bereitzustellen, die zunehmend über mobile Endgeräte und Apps zur Verfügung stehen, um das „Situative Banking“ zu unterstützen. FIRM-Redaktion: Trotz aller Big-Data-Lösungen tun sich viele etablierte Bankhäuser schwer mit der digitalen Umsetzung. Woran liegt es Ihrer Meinung nach? Burchard Hillmann-Köster: Die Ursachen sind vielschichtig, und daher ist eine einfache Antwort nicht möglich. Wenn wir davon ausgehen, dass Daten, Prozesse & IT die Grundlage der digitalen Transformation bilden und sehen, dass viele IT-Ressourcen in Compliance-Themen sowie der Wartung bestehender Legacy-Systeme gebunden sind, stehen weniger Ressourcen für die Digitalisierung zur Verfügung. Aber auch die „Digital Leadership“ und Kultur sind Studien zufolge in der Bankenbranche nicht so ausgeprägt wie in anderen Branchen. FIRM-Redaktion: Daran schließt die Frage an: Wie können es Banken schaffen, die Kluft zwischen einem analogen Denken und den digitalen Herausforderungen zu schließen? Burchard Hillmann-Köster: Die Frage muss ich an die Banken und Beratungsunternehmen weiterleiten. Aus Sicht eines Technologieanbieters können wir nur hervorheben, dass die Technologien bereits heute vorhanden sind, um sich den digitalen Herausforderungen zu stellen. FIRM-Redaktion: Trotz der voranschreitenden Analysewelt braucht es nach Meinung vieler Experten immer noch den Menschen, der Daten und Zahlen in die richtigen Interpretationen überführt. Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht der Mitarbeiter in diesem Kontext? Ist er wichtig oder vielleicht nur noch ein „Auslaufmodell“? Burchard Hillmann-Köster: Der Faktor Mensch wird weiterhin eine Rolle spielen – noch sind wir am Anfang dieser Technologien. Es werden sich nach meiner Einschätzung – wie bei jeder Veränderung – aber die Aufgaben und Tätigkeiten von Mitarbeitern ändern. Was dieses im Einzelfall bedeutet, wird die Zeit weisen. FIRM-Redaktion: Sprechen wir von Datenanalyse, so müssen wir auch das Thema Datenschutz ansprechen. Wie können Finanzunternehmen den Spagat zwischen dem Herausfiltern wertvoller Informationen für sich und den datenschutzrechtlichen Anforderungen der Kunden hinbekommen? Burchard Hillmann-Köster: Das Stichwort heißt „Verschlüsselung“ und „Pseudonymisierung“, wobei letzteres bei vielen Unternehmen der bevorzugte Ansatz ist. Er ist nicht neu und war bereits im Bundesdatenschutzgesetz verankert. Einige Experten sehen auch die Anonymisierung bei einigen Verfahren als Möglichkeit an, diese wird aber in der EU-DSGVO nicht speziell erwähnt. Unternehmen sollten sich bei diesen Themen grundsätzlich rechtlichen Rat einholen. Die Fokusgruppe Datenschutz des Digital-Gipfels hat Leitlinien für die rechtssichere Nutzung von Pseudonymisierungslösungen unter Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung herausgegeben, die auch über die Webseite der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. verfügbar sind. (https://www.gdd.de/downloads/whitepaper-zur-pseudonymisierung, Anmerkung der Redaktion) FIRM-Redaktion: Schauen wir noch nach vorne: Welche digitalen Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren im Finanzumfeld – auch mit Blick auf Finanztechnologie? Burchard Hillmann-Köster: Kunden suchen in der heutigen schnelllebigen Zeit immer stärker nach Komfort, Einfachheit und Benutzerfreundlichkeit. Kunden erwarten unkomplizierte und stets erreichbare Transaktionen, die ihnen Zeit und Mühe für wichtigere Aufgaben sparen. Deren Bedürfnisse werden im Zentrum der Tätigkeit von Finanzinstituten stehen und damit neue Finanztechnologien zum Einsatz kommen. Aus Bankensicht geht es in Zukunft um Dinge wie ein umfassendes Verständnis aus Kundensicht aufzubauen, den Kunden in dessen aktueller Situation zu verstehen, um letztendlich zum richtigen Zeitpunkt, auf die vom Kunden in dieser Situation gewünschten Weise zu agieren. Die Nutzung von Standortinformationen sowie raumbezogenen Analysen ist darin ein Bestandteil, um kontextbezogene Informationen, Produkte und Dienstleistungen z. B. in Abhängigkeit von Ort, Alter oder der Lebenssituation bereitstellen zu können. Wir erwarten, dass Finanzdienstleister ähnliche Datenauswertungsstrategien anwenden wie große Internetplattformen, um Kunden darüber ebenfalls bequem und aus einer Hand möglichst viele Zusatzdienste rund um ihre Finanzen anzubieten. Hier hinein spielen auch Themen wie der Aufbau einer Single Customer View (zentrale Sicht auf den Kunden), Big Data Analytics und KI (Künstlicher Intelligenz) und mehr datengesteuerte Touchpoints wie Chatbots und personalisierte, interaktive Videos. Bildquelle: Burchard Hillmann-Köster. Burchard Hillmann-Köster verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Location Intelligence/Customer Information Management und ist Subject Matter Expert für diesen Bereich bei Pitney Bowes. Die Schwerpunkte seiner Tätigkeiten innerhalb des Pitney-Bowes-Konzerns lagen dabei unter anderem im Produktmanagement, Produktmarketing, der Marketingkommunikation und im Vertrieb. Hillmann-Köster begann seine Karriere 1997 als Berater in den USA im Bereich Wirtschaftsförderung/Standortanalysen. Sein Studium der Betriebswirtschaft hat er in Deutschland mit Stationen in UK und Finnland absolviert und erhielt 1997 seinen MBA von der University of Texas – Pan American.
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