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RISIKO MANAGER 08.2016

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22 RISIKO MANAGER 08|2016 Solvency II Chancen der Projektion der Kapitalanforderung im Rahmen von ORSA Versicherungsunternehmen müssen im Rahmen von Solvency II jedes Jahr den Solvency Capital Requirement (SCR) berechnen. Dies ist die Höhe des Eigenkapitals, das Versicherungsunternehmen vorhalten müssen, um aus regulatorischer Sicht ihren Verpflichtungen gegenüber Versicherungsnehmern auch in Zukunft nachkommen zu können. Darüber hinaus ist im Rahmen des Own Risk and Solvency Assessments (ORSA) eine mittelfristige Projektion durchzuführen, inwieweit die Solvenzanforderungen auch in der mittleren Frist (3 bis 5 Jahre) erfüllt werden können. Wie im Folgenden dargestellt, erhält man mit einer umsichtigen Umsetzung aber sogar ein Werkzeug zur Unterstützung der Unternehmenssteuerung, welches es erlaubt, künftige Managementmaßnahmen und deren mittelfristige Auswirkungen frühzeitig quantitativ zu bewerten. Praktisch bedeutet diese Projektion eine Fortschreibung beziehungsweise Simulation sowohl der Aktiv- als auch der Passivseite der Bilanz, auf deren Basis dann der zukünftige SCR aus heutiger Sicht ermittelt werden kann. Das heißt, es werden zunächst Risikoparameter vorhergesagt, die aus Sicht der Versicherung die Entwicklung von Gewinn beziehungsweise Eigenmitteln ökonomisch maßgeblich beeinflussen. Anhand derer kann anschließend die Entwicklung des SCR abgeleitet werden. Das durch die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA zur Verfügung gestellte Standardmodell einschließlich Kalibrierung (Ausprägung der Modellparameter) berechnet den SCR mit der vorgegebenen Kalibrierung für den Planungshorizont von einem Jahr. Für die Praxis bedeutet dies, dass es für Versicherungen von offizieller Stelle nur eine Anleitung für die Vorhersage für ein Jahr gibt. Versucht man nun dieses Standardmodell für längere Horizonte selbst zu kalibrieren, stößt man schnell an die Grenzen des Modells, da die sinnvolle Übertragung der notwendigen Annahmen des Standardmodells auf längere Zeiträume nicht möglich ist. Um diese Lücke zu schließen, sind Versicherungen somit gefordert, eigene Lö-

Regulierung 23 sungen zu entwickeln, wenn sie ORSA den gesetzlichen Vorgaben entsprechend umsetzen wollen. Modellierung von Abhängigkeiten Gesucht wird ein Weg, unterschiedliche Risikoprofile der Versicherungen mit ihren stochastischen Risikofaktoren so zu modellieren, dass die Eigenkapitalentwicklung adäquat abgebildet werden kann. In einem ersten Schritt muss dazu der Schwerpunkt auf die Modellierung der Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Risiken gelegt werden. Denn nur die Kenntnis der Beziehungen zwischen allen Größen erlaubt, aussagekräftige Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Der theoretische Hintergrund zur Lösung des Modellierungsproblems stammt aus dem Bereich der Modellierung von Copulae und stochastischen Prozessen. Copulae beschreiben ganz allgemein einen funktionalen Zusammenhang zwischen den Randverteilungsfunktionen verschiedener Zufallsvariablen und ihrer gemeinsamen Wahrscheinlichkeitsverteilung und sind somit für die Modellierung von Unternehmensrisiken prädestiniert. Aufgrund detaillierter Anpassungsmöglichkeiten von Copulae sind sie dem Ansatz zur Modellierung von Abhängigkeiten über Korrelationen, wie im Standardmodell zur SCR-Berechnung verwendet, sogar deutlich überlegen. Insbesondere erlauben es Copulae, Tail-Abhängigkeiten genauer zu erfassen, also gerade die sehr seltenen Großschäden beziehungsweise Extremereignisse, die für das Risikomanagement von besonderem Interesse sind, da sie weit über die erwarteten Schäden hinausgehen können und somit das eigentliche Risiko darstellen. Das heißt: Anstelle der altbekannten Korrelationsmatrizen im Standardmodell wird nun eine Copula angegeben, welche die Abhängigkeit zwischen zwei Größen X und Y beschreibt. Die bekanntesten Vertreter der Copulae sind die Gauß-Copula, Gumbel-Copula und die t-Copula. Werden Abhängigkeiten über elliptische Copulae (wie Gauss, t) modelliert, steckt dahinter immer die Annahme einer gewissen Symmetrie, was bedeutet, dass die Abhängigkeiten bei positiven wie auch negativen Ereignissen gleich sind. Diese Annahme wird bei der Verwendung einer Gumbel-Copula nicht benötigt, da sie eine unsymmetrische Form aufweist (siehe dazu Abb. 01: Vergleich symmetrischer und unsymmetrischer Abhängigkeitsmodellierung). Häufig weisen Marktdaten keine symmetrische Abhängigkeitsstruktur auf und sind somit nur ungenügend anhand von Korrelation darzustellen. Als Beispiel seien Aktienkurse genannt. In fallenden Märkten liegt oftmals eine stärkere Abhängigkeit vor als in steigenden Märkten. Ausgehend von der Grundgesamtheit aller bivariaten Copulae einer Versicherung lässt sich nun eine sogenannte Vine- Copula konstruieren, wie in [Vgl. Joe 2015, S.107] dargestellt. Bei diesen werden die einzelnen Abhängigkeiten der bivariaten Copulae selbst wieder mit Copulae dargestellt. Dies wird so lange wiederholt, bis eine Copula entsteht, welche sich nun vollständig mithilfe der Vorgänger-Copulae darstellen lässt. Somit ist eine Vine-Copula im Prinzip eine Verknüpfung von bivariaten Copulae. Am Ende dieses Schritts verfügt die Versicherung somit über eine Copula, welche die Abhängigkeiten zwischen allen Größen zur Berechnung des SCR widerspiegelt. Grundsätzlich gilt, je abhängiger zwei Zufallsgrößen X und Y sind, desto besser kann man X vorhersagen, wenn Y bekannt ist. Aus diesem Grund ist es ein zentrales Anliegen für jede Vorhersage, die Abhängigkeiten zu Beginn genau zu bestimmen. Doch wie findet man die richtige Copula? Schätzung der Modellparameter und Berechnung des erforderlichen Kapitals In Zeiten von Big Data stellt sich die Frage, wie man aus den Unmengen an verfügbaren Daten einen wirklichen Nutzen generieren kann. Von Vorteil wäre es, anhand von vergangenen Kursverläufen, Stornoraten, Schadensereignissen et cetera die eben geforderte Abhängigkeitsstruktur in Form einer Copula abzuleiten. Damit lässt sich dann konkret berechnen, welche Auswirkung zum Beispiel eine Veränderung des Rechnungszinses auf ein Anlageportfolio oder eine Stornorate hätte. Mathematisch umgesetzt wird die Ableitung einer Abhängigkeitsstruktur aus einem Datensatz mithilfe einer klassischen Maximum-Likelihood-Schätzung für die unbekannten Parameter der Copula. Die Verteilungsdichte gemäß [Joe, 2015] stammt dafür aus einer zuvor gemäß [Aas et al., 2009] festgelegten Struktur der Vine-Copula. Die Struktur sollte dabei so gewählt werden, dass die Abhängigkeiten zwischen den verwendeten bivariaten Copulae maximiert werden. Während das Standardmodell pauschal die Abhängigkeitsstruktur vorgibt („onesize-fits-all“), erlaubt das Vorgehen die individuelle Betrachtung der einzelnen Versicherung. Es können Größen ausgemacht werden, welche im Vergleich zum Standardmodell stärkere oder schwächere Abhängigkeiten oder gar strukturell andere Abhängigkeiten zeigen, was zu einer veränderten Risikotragfähigkeit der Versicherung führen kann. Ebenso können Risiken konsistent in die Betrachtung integriert werden, die im Standardmodell unberücksichtigt bleiben. Ist die Abhängigkeitsstruktur bekannt, folgt in einem weiteren Schritt die Berechnung der Verteilung der einzelnen verwendeten Zufallsgrößen aus vergangenen Daten. Hierbei wird zwischen Größen des versicherungstechnischen Risikos (biometrische Risiken, Sturm, Flut, Hagel usw.) und des Anlagerisikos (Aktien, Anleihen, Zinsen usw.) unterschieden. Die Verteilungen des ersteren werden bereits in der Prämien- und Reservekalkulation beziehungsweise der Berechnung von Deckungsrückstellungen verwendet, sodass diese als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Darüber hinaus können die Verteilungen der einzelnen Anlagerisiken mithilfe von Zeitreihen (beispielsweise ARMA oder GARCH) oder ökonomischen Modellen (beispielsweise Sprung-Diffusionsprozesse für Aktien oder Zinsstrukturmodelle wie Hull-White) abgebildet werden. Jeder Bilanzposten kann nun ausgehend von einer Vielzahl von Zufallsgrößen berechnet werden. So hängt zum Beispiel der Bilanzposten „Versicherungstechnische Rückstellungen Leben“ von den Größen Zins, Neugeschäft, Storno ab.

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