34 RISIKO MANAGER 07|2018 durch Zinssteigerungen stärker belastet wird, steigt seine Ausfallwahrscheinlichkeit unter sonst gleichen Bedingungen. Für die Bank könnten sich daraus notleidende Kredite entwickeln, die wertberichtigt werden müssten. Jedoch hat sich die Verschuldung der privaten Haushalte relativ zu deren verfügbaren Einkommen in den letzten Jahren verringert, und die ausstehenden Kredite sind zum Großteil mit langen Zinsbindungsperioden ausgestattet [Deutscher Bundestag 2015]. Demnach unterscheidet sich die derzeitige Lage deutlich von der Situation unmittelbar vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2006. Bei Krediten an Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors ist die Beurteilung der Ausfallwahrscheinlichkeit schwieriger, da sie maßgeblich von der Entwicklung auf Beschaffungs- und Absatzmärkten nach einem Zinsanstieg abhängt. Für deutsche Unternehmen spielt die Entwicklung auf dem Weltmarkt, verbunden mit Wechselkursrisiken und potenziellen Handelsstreitigkeiten, eine wesentliche Rolle. Durch den Zinsanstieg wird wahrscheinlich der Außenwert des Euro steigen, sodass sich deutsche Exporte auf dem Weltmarkt verteuern. Zugleich ist zu konstatieren, dass erhöhte Zinsen auch zu erhöhten Finanzierungskosten bei Unternehmen führen werden. Die meisten deutschen Unternehmen sind klein oder mittelständisch und verfügen im Regelfall über eine solide Eigenkapitalausstattung, sodass die Adressausfallrisiken durch Zinserhöhungen bei Unternehmen des nichtfinanziellen Sektors insgesamt als gering einzustufen sind. Im Gegensatz dazu sind südeuropäische Staatsanleihen mit höheren Ausfallrisiken behaftet. Zugleich haben Banken in den letzten Jahren gerade solche Anleihen gekauft, da sie sowohl bei der Unterlegung mit Eigenkapital als auch bei der Anrechnung im Liquiditätspuffer (LCR) begünstigt werden. Außerdem bieten Staatsanleihen mit faktisch höheren Risiken als beispielsweise deutsche eine höhere Rendite, die unter Ertragsgesichtspunkten für die Bank wünschenswert ist. Im Ergebnis incentiviert das Niedrigzinsumfeld eine höhere Risikoneigung bei Anlegern, die sich gerade bei der Auswahl der Emittenten von Staatsanleihen innerhalb der EU zeigt. Im Fall einer Zinserhöhung werden die Staatshaushalte der hoch verschuldeten EU-Mitgliedstaaten stärker belastet, was deren Ausfallrisiken erhöht, falls die Staatengemeinschaft keine Garantie übernimmt. Bewertungsrisiken durch Zinserhöhungen Durch eine Zinserhöhung sinkt der Wert einer festverzinslichen Anleihe. Derartige Wertpapierbestände im Umlauf- oder Anlagevermögen einer Bank müssen nach § 253 HGB wertberichtigt werden. Wertberichtigungen werden über die Gewinnund Verlustrechnung verbucht und belasten das Eigenkapital. Ob und inwieweit Banken den Kauf von Wertpapieren mit Eigenkapital hinterlegen müssen, hängt vom Emittenten des Wertpapiers ab. Staatsanleihen von EU-Mitgliedstaaten sind grundsätzlich von der Eigenmittelunterlegung nach Kapitel 2, Artikel 114 CRR befreit, obwohl sie denselben Marktpreisbzw. Bewertungsrisiken unterliegen wie Anleihen anderer Emittenten. Zusammenfassung Insgesamt ist festzuhalten, dass eine Zinserhöhung einerseits mittelfristig zu höheren Margen im klassischen Einlagen- und Kreditgeschäft führen wird. Andererseits geht diese Zinserhöhung mit nicht unerheblichen Risiken für Geschäftsbanken einher. Kredite werden perspektivisch für Kreditnehmer teurer, was deren Ausfallwahrscheinlichkeit unter sonst gleichen Bedingungen erhöht. Zudem werden Anschlussfinanzierungen für Banken teurer, und festverzinsliche Wertpapiere mit geringem Kupon müssen wertberichtigt werden. Diese Risiken treffen vor allem Banken kleiner und mittlerer Größe, da bei größeren Banken das Geschäftsmodell weniger zinsabhängig ist und zudem offene Positionen zumeist durch Derivate besichert sind [Deutsche Bundesbank 2014]. Falls sich diese Risiken materialisieren, stellt sich die Frage, ob Banken die daraus resultierenden Verluste im Provisionsgeschäft ausgleichen können. Dies scheint zumindest fragwürdig, da die Provisionsmarge im Jahr 2016 auf dem Niveau des langfristigen Durchschnittswerts lag [Deutsche Bundesbank 2017a]. Durch anhaltend hohen Wettbewerbsdruck durch preiswerte Online-Anbieter von Dienstleistungen im Giro- und Zahlungsverkehr können Banken ihre Provisionen kaum erhöhen. Hinzu kommen die umfassenden Informationspflichten aus MiFID II. Diese Richtlinie trat im Januar 2018 in Kraft und verteuert den Vertrieb von Finanzprodukten – bei zugleich hoher Nachfrage nach Alternativen zu Spareinlagen, bedingt durch das Niedrigzinsumfeld. Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Finanzmarktstabilität Die derzeit niedrigen Zinsen haben grundsätzlich mehrere negative Auswirkungen: » Während ein Niedrigzinsumfeld isoliert betrachtet zu unnatürlich hoher Verschuldung bei privaten Haushalten führt, ist dies derzeit in Deutschland nicht zu beobachten. Ebenso sind die Wohnimmobilienpreise in Deutschland zwar gestiegen, aber eine Blasenbildung ist bisher nicht zu verzeichnen. Außerdem sind die deutschen Kreditinstitute auf einen Preisrückgang bei Wohnimmobilien gut vorbereitet [Deutsche Bundesbank 2017b]. » Zudem resultiert das niedrige Zinsniveau in geringen Zinsüberschüssen. » Darüber hinaus führen niedrige Zinsen auf der Suche nach Rendite zu erhöhter Risikoneigung. Aus diesen Gründen sollte eine Zinserhöhung stabilisierend auf den Finanzmarkt wirken. Zugleich führen Zinsänderungs-, Ausfall- und Bewertungsrisiken, die zeitgleich und in ähnlicher Weise die meisten Institute treffen, aggregiert zu erhöhter Unsicherheit im Finanzsystem. Davon sind durch Verflechtungen auf dem Interbankenmarkt oder durch Verbindungen zu Versicherern o. ä. auch solche Institute betroffen, die im Hinblick auf diese betriebswirtschaftlichen Risiken solide vorgesorgt haben. Die regulatorischen Anforderungen begünstigen den Kauf von europäischen Staatsanleihen, sowohl bei der Eigenmittelunterlegung als auch bei den Liquiditäts-
Marktrisiko fachtagung 2018 35 anforderungen. Dadurch sind Klumpenrisiken entstanden: Wenn Griechenland oder Italien durch die teurer gewordenen Kredite ausfallen, bringen deutsche Banken deren Staatsanleihen zeitgleich und mit hohen Volumina auf den Markt, was dort zu einer Abwärtsspirale der Kurse führt. Im Ergebnis tragen die Geschäftsbanken das systemische Risiko, das durch die aufsichtsrechtlichen Anforderungen herbeigeführt wurde. Diese Verflechtung zwischen Banken und Staaten erhöht den Druck, im Krisenszenario Staaten erneut zu retten und damit stabilisierend auf Finanzmärkte zu wirken. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich höhere Zinsen positiv auf die Erträge im zinstragenden Geschäft der Banken auswirken sollten. Der Prozess der Zinserhöhung geht jedoch mit erhöhten betriebswirtschaftlichen Risiken einher, die aggregiert zu mehr Unsicherheit auf Finanzmärkten führen. Darüber hinaus bewirkt die vorteilhafte aufsichtsrechtliche Behandlung von Anleihen überschuldeter Staaten ein nicht unerhebliches Klumpenrisiko. Fazit und Ausblick Die bevorstehende Zinserhöhung führt zu einer teureren Refinanzierung bei Banken sowie zu Wertberichtigungen durch Insolvenzen und durch Kurskorrekturen bei festverzinslichen Wertpapieren. Dem gegenüber stehen perspektivisch steigende Zinseinnahmen aus dem Aktiv- und Eigengeschäft der Banken. Diese betriebswirtschaftlichen Auswirkungen des Zinsanstiegs betreffen grundsätzlich jedes Kreditinstitut, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Daraus resultiert eine erhöhte Unsicherheit für die Finanzmarktstabilität, die sich durch Verflechtungen wiederum negativ auf einzelne Institute auswirken kann. Neben dem positiven Ausblick auf steigende Zinsmargen sollte diese Unsicherheit nicht aus dem Blickfeld geraten. Es bleibt zu hoffen, dass das Ende der Niedrigzinsphase auch ein Ende der inhaltlich entgegengesetzt gerichteten geldpolitischen Vorgaben und aufsichtsrechtlichen Anforderungen einleitet. Die niedrigen Zinsen leisten Blasenbildung auf Finanzmärkten und hoher Verschuldung privater Haushalte Vorschub, und um eine solche Entwicklung zu verhindern, wurden beispielsweise im Jahr 2016 die Kreditvergabe für Wohnimmobilien an strengere Kreditwürdigkeitsprüfungen geknüpft oder im Jahr 2018 Wertpapiergeschäfte aus der Sicht der Banken erschwert. Bei den Liquiditätsanforderungen werden langfristige Kredite bestraft, deren Nachfrage durch die niedrigen Zinsen zugleich künstlich erhöht wird. Das höhere Zinsniveau beugt der Blasenbildung von sich aus vor, sodass die Notwendigkeit von widersprüchlichen Vorgaben entfällt. Literatur Deutsche Bundesbank (2014): Finanzstabilitätsbericht. Deutsche Bundesbank (2015): Monatsbericht Oktober 2015. Deutsche Bundesbank (2017a): Monatsbericht September 2017. Deutsche Bundesbank (2017b): Ergebnisse der Niedrigzinsumfrage 2017, Pressekonferenz am 30.08.2017. Deutscher Bundestag (2015): Auswirkungen der Niedrigzinsphase und eines potentiellen Zinsanstiegs, Drucksache 18/5950. Europäische Zentralbank (2018): Pressemitteilung 14. Juni 2018. Autoren Dr. Christiane Goodfellow ist Professorin am Fachbereich Wirtschaft der Jade Hochschule in Wilhelmshaven und vertritt dort Statistik und Kapitalmarkttheorie. Malte Thumann studiert bei ihr im Online-Masterstudiengang Betriebswirtschaftslehre. 11. September 2018 in Köln Top-Themen und Top- Referenten, u. a. mit: Sponsoren Kreditrisiken Prof. Dr. Dirk Heithecker | Hochschule Hannover Integration von Finanzen, Risiko und Meldedaten am Beispiel Stresstesting Axel Potthast | Aareal Bank AG Risikobetrachtung und Nachweiserbringung nach dem IT-Sicherheitsgesetz Dr. Wolfgang Finkler | Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Podiumsdiskussion „Risiken auf dem Radar: Herausforderungen von morgen schon heute erkennen“ Moderation: Prof. Dr. Andreas Igl | Hochschule der Deutschen Bundesbank Jetzt anmelden! Stefan Lödorf Bank-Verlag GmbH Telefon: 0221/5490-133 events@bank-verlag.de www.risiko-manager-fachtagung.com
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