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RISIKO MANAGER 07.2018

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22 RISIKO MANAGER 07|2018 Würden Sie uns drei Errungenschaften nennen, die für Ihre Karriere repräsentativ sind? Da ist sicherlich die aktuarielle Ausbildung an der ETH. Wenn wir uns ins Jahr 1989 zurückversetzen, da war ich fast allein im Departement, auch die Wahrscheinlichkeitstheorie war nach Föllmer unbesetzt. Ich habe also die komplette Forschung und Lehre in der Versicherungsmathematik aufgebaut – was übrigens auch ein Wunsch der Züricher Versicherungsindustrie war. Alle Kontakte zur Schweizer Aktuarsvereinigung, die Ausbildung zum verantwortlichen Aktuar usw, das existierte ja alles noch nicht. Über mehrere Jahre habe ich das Departement dann so gestaltet, dass man heute sagt: „Ein an der ETH ausgebildeter Aktuar, das ist fast eine eigene Berufsgattung“. Ich fand und finde es noch heute eine absolut richtige Entscheidung, dass die Aktuarsausbildung an der ETH, die ja auch zum Aktuar der SAV führen kann, am Departement Mathematik verankert ist. Ein anderer Punkt ist RiskLab. Am 7. Oktober 1994 haben wir mit Banken und später Versicherungen und unter Absprache mit der Aufsicht (BIZ) RiskLab als eine vorwettbewerbliche Risikomanagement-Plattform gegründet. Dort wurden viele Ideen geboren, die wir heute kennen und nutzen. Darauf bin ich sehr stolz – die Idee wurde ja auch weltweit kopiert. Eine dritte Errungenschaft sind sicherlich meine wissenschaftlichen Arbeiten, also z. B. meine Bücher über Extremwertstatistik und quantitatives Risikomanagement. Gab es in Ihrer akademischen Laufbahn auch Projekte, die Ihnen zwar wichtig waren, die Sie aber nicht verwirklichen konnten? Große Projekte nicht. Während Hans Bühlmann 100 Prozent in der aktuariellen Welt verankert war, war ich auch immer tief in der Mathematik, insbesondere Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik, präsent. Vielleicht hätte ich eine noch tiefere Ausprägung in der Versicherungsmathematik anstreben können. Aber prinzipiell habe ich erreicht, was ich erreichen wollte. Als Ausblick gaben Sie in Ihrer Abschiedsvorlesung an, dass Sie sich Hans Bühlmann, Paul Embrechts und Harry Panjer bei der Verleihung des Ehrendoktors der Universität von Waterloo (Kanada) an Paul Embrechts. nach Ihrer Forschung am „Mathematical Understanding of Risk” nun dem „Public Under stand ing and Communication of Risk” widmen werden. Was genau ist geplant? Das ist natürlich eine fließende Entwicklung – auch bisher habe ich ja schon beides betrieben. Ich habe immer versucht, die tiefen technischen Errungenschaften auch nach außen zu kommunizieren. In dem Sinne ist es zwar ein expliziter Übergang, aber ein sanfter. Konkret plane ich mit Valérie Chavez und Marius Hofert ein Buch über die Frage, wie Risiko einem breiteren Publikum erklärt werden kann. Dazu habe ich ja viel Erfahrung durch Vorträge vor breitgefächertem Publikum. Oft wurde ich nach allgemeinverständlichen Vorträgen auf mein Buch angesprochen – aber mein QRM Buch [McNeil, A.J., Frey, R. and Embrechts, P. Quantitative Risk Management: Concepts, Techniques and Tools, Revised edition Princeton University Press Series in Finance (2015)] ist leider ohne mathematisches Vorwissen nicht zugänglich. Es gibt aber so viele Bereiche, wo allgemeines Verständnis von Risiko wichtig ist, wie Langlebigkeit in der Demografie oder der Umgang mit Katastrophen. Allgemeiner ausgeholt: Wie geht unsere Gesellschaft mit Risiken um, und wie können wir qualitative Aspekte von Risiko mit quantitativen Aspekten verknüpfen und nicht zuletzt Risiken kommunizieren? Das möchte ich jetzt in einem Drei-Jahres-Plan in einem kleinen Buch umsetzen, und ich bin selber gespannt, was dabei herauskommt. Beispiele werden sicherlich aus meinem bisherigen Forschungsbereich kommen, also zum Beispiel aus der Extremwerttheorie. Idealerweise soll das Buch dann wirklich allgemeinverständlich werden – das möchte ich erreichen. Hat sich Ihre Risikowahrnehmung im Verlauf des Lebens geändert? Ich bin sicherlich ein risikoscheuer Mensch. Ob sich das verändert hat, ist schwer zu sagen, messen kann ich das nicht. Mit Kindern und Enkeln sind mir aber gewisse Risiken doch stärker bewusst geworden. Es ist aber mehr als eine reine Frage des Alters: Es ist sicherlich auch die Menge an Informationen, die wir heute zur Verfügung haben. Dieses Bombardement an Informationen ändert die Risikowahrnehmung aller Personen.

Interview 23 Wie könnte ein gesellschaftlicher Konsens zu Fragen der Risikoprävention aussehen? Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Zunächst spielt sicherlich das politische Umfeld eine große Rolle. In der Schweiz, mit einer direkten Demokratie, ist die Ausgangssituation natürlich anders als z. B. in Venezuela oder Nordkorea. Hier hat man als Person andere Möglichkeiten, um sich aktiv einzubringen und zu äußern, man braucht aber auch mehr Informationen. Die Ausbildung ist natürlich auch zentral. Wir müssen erreichen, dass die Bevölkerung Statistiken lesen und interpretieren kann, dann ist man auch im Risikobereich auf einem guten Weg. Es gibt aber keine einfache Antwort auf Ihre Frage. Ich würde mir aber mehr Zusammenarbeit zwischen Politik und akademischer Welt wünschen – dort sind wir aktuell nicht sehr gut aufgestellt. Nehmen wir nur den verschwindend geringen Anteil von Aktuaren in den westlichen Parlamenten als Beispiel – für mich unverständlich. Ich habe immer gesagt, wir haben drei Dinge zu bewältigen: Sozialversicherung, Sozialversicherung und Sozialversicherung. Leider ist ja zu befürchten, dass die aktuell sehr gute wirtschaftliche Lage in Deutschland und der Schweiz dazu führt, diese Probleme weiter zu verschlafen. Absolut! Andererseits gibt es aber Länder – Dänemark und Niederlande als Beispiel – wo man gute Systeme hat, die man fast kopieren könnte. Wir müssen die Bevölkerung überzeugen, das Renteneintrittsalter graduell von 65 auf 70 Jahre zu erhöhen. Es müssen aber in dieser Übergangsphase sich ändernde Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden – das ist machbar. Leider gibt es aktuell in vielen Ländern eher die Frage nach einem früheren Renteneintritt – und da sind wir dann wieder voll in der Politik. Hier bräuchten wir mehr aktuariellen Sachverstand in verantwortungsvoller Position. In welcher Einheit sollte Risiko auf gesellschaftlicher Ebene eigentlich gemessen werden? Geld/erwartete Lebenszeit/gefühltes Risiko? Diese Frage möchte ich etwas allgemeiner anhand eines Beispiels behandeln: den belgischen und holländischen Deichen. Es ist wunderbar, einmal den Artikel von van Dantzig zu lesen [David van Dantzig, Economic decision problems for flood protection, Econometrica 24(3), 276 – 287 (1956)]. Diese Frage wird darin explizit behandelt. Es gibt einerseits technische Aspekte, Gebäude die zerstört werden, aber es gibt auch Todesfälle. Die zu konstruierende Deichhöhe muss berücksichtigen, wie gut die Bevölkerung geschützt wird, einerseits in Bezug auf Sachschäden, andererseits in Bezug auf Personenschäden. In diesem Artikel werden schon 1956 solch differenzierte Aspekte diskutiert: Wie sollte man diskontieren? Was kann man messen? Wenn man sich die van-Danzig-Formel anschaut, dann erkennt man, dass in dieser Formel all diese Aspekte auftauchen. Da gibt es z. B. einen Parameter p0, das ist dann ein Gumbel-Modell aus der Extremwerttheorie. Auch andere Faktoren werden explizit berücksichtigt, und es wird versucht, gewisse Aspekte zu messen, sodass man am Ende des Tages, bei allen Unsicherheiten, doch eine konkrete Formel für eine Deichhöhe hat. Eine Deichhöhe ist schließlich eine konkrete Höhe: 5 Meter ist eben eine genaue Angabe, keine Fuzzy-Höhe. Es braucht Mut, solch eine konkrete Formel anzugeben. Das ist wunderbar gemacht in diesem Beispiel. Sie kehren in Ihren Vorträgen immer wieder auf technisch gesehen einfache Beispiele zurück: z. B. die Unmöglichkeit, eine beliebige Korrelation zwischen zwei unterschiedlichen Lognormalverteilungen zu erzeugen. Waren praktische Fragen dieser Art „Augenöffner“ für Sie, und können Sie weitere solche Beispiele nennen? Absolut! Ich erinnere mich noch sehr genau an die zwei Aktuare, die mit diesem Problem in mein Büro kamen. Ebenso das Problem des Value-at-Risk einer Summe oder das Problem der Konstruktion eines Modells für eine gegebene Tail-Dependence-Matrix. Es sind solch einfach formulierte Fragen, bei welchen man plötzlich realisiert, dass man gewisse Aspekte eines Problems nicht bedacht hat. Die erste Frage war tatsächlich der Grund, warum wir unser Copula Paper [Embrechts, P., McNeil, A., Straumann, D.: Correlation and dependence in risk management: properties and pitfalls. In: Risk Management: Value at Risk and Beyond, ed. M.A.H. Dempster, Cambridge University Press, Cambridge, pp. 176-223, (2002)] geschrieben haben. Die Theorie geht ja bereits auf Hoeffding 1940 zurück – aber sie lag nicht bereit. Solche Beispiele setzten natürlich voraus, dass man die Tür für praktische Fragen offen hält. Dazu trägt sicherlich die Situation in Zürich wie meine Persönlichkeit bei. Meine Tür ist immer offen, das sollte für angewandte Mathematiker aber auch selbstverständlich sein. In Ihren Vorträgen nutzen Sie häufig Zitate von klassischen Texten, aus durchaus unterschiedlichen Provenienzen, um Argumentationsketten einzuleiten, oder Sie runden Ideen durch konkrete Buchempfehlungen ab. Welche Bücher sollte ein Risikomanager heute aus den vergangenen Jahrhunderten noch kennen? Ein Buch, das ich mit viel Freude gelesen habe ist von Darwin, On the Origin of Species (1859). Muss man das jetzt lesen? Ich weiß es nicht, aber ich fand es auf jeden Fall spannend. Das Buch ist voller Daten. Nicht als Tabellen, aber im Text. Eine zweite Gruppe an Büchern sind die Werke von Jacob Bernoulli, insbesondere Ars Conjectandi (1713). Selbst wenn man nicht Bernoulli selbst liest, so sollte man doch einmal ein Buch aus dieser Zeit lesen, um zu sehen, wo die Schwierigkeit lag, mit dem Begriff Paul Embrechts mit etwa sechs Jahren.

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