Aufrufe
vor 6 Jahren

RISIKO MANAGER 06.2017

  • Text
  • Gesundungen
  • Banken
  • Risiko
  • Institute
  • Gesundungswahrscheinlichkeit
  • Anforderungen
  • Perioden
  • Periode
  • Ausfallperiode
  • Risiken
RISIKO MANAGER ist das führende Medium für alle Experten des Financial Risk Managements in Banken, Sparkassen und Versicherungen. Mit Themen aus den Bereichen Kreditrisiko, Marktrisiko, OpRisk, ERM und Regulierung vermittelt RISIKO MANAGER seinen Lesern hochkarätige Einschätzungen und umfassendes Wissen für fortschrittliches Risikomanagement.

12

12 RISIKO MANAGER 06|2017 Chancen-Risiko-Klassifizierung für Basis- und Riester-Renten Orientierungshilfe für Privatkunden Interview mit Prof. Dr. Ralf Korn, einem der Mitentwickler des finanzmathematischen Kerns zur Klassifizierung in fünf Chancen-Risiko-Klassen, über Mindestverzinsung, Beitragsgarantien und Risikotransfer in der Versicherungswirtschaft. RISIKO MANAGER: Was ist der rechtliche Hintergrund der Chancen-Risiko-Klassifizierung? Korn: Im Rahmen des Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes wurde mit dem Ziel einer besseren Kundeninformation beschlossen, ein einheitliches Produktinformationsblatt (PIB) für Basisrenten und Riester-Renten einzuführen. Neben den sogenannten Effektivkosten muss hier auch die Einordnung in eine von fünf Chancen-Risiko-Klassen (CRK) angegeben werden. Die direkte Umsetzung des Produktinformationsblatts wird in der Altersvorsorge-Produktinformationsblattverordnung (AltvPIBV) samt zugehörigem BMF-Schreiben geregelt. RISIKO MANAGER: Wie bekam das Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern den Zuschlag? Korn: Nach der Ausschreibung des BMF haben wir uns nach mehreren Runden 2015 gegen die anderen Bewerber durchgesetzt. Dabei profitierten wir sicherlich von unserer Erfahrung mit ähnlichen Industrieprojekten und wohl auch von unserem überzeugenden Antrag. Die Fraunhofer Gesellschaft hat dann die Produktinformationsstelle Altersvorsorge (PIA) als gGmbh gegründet, die separat und unabhängig die Klassifizierung der Produkte vornimmt. Die Abteilung Finanzmathematik des Fraunhofer ITWM führt für die PIA alle benötigten wissenschaftlichen Arbeiten aus, wie z. B. die Konzeption und Umsetzung der Simulationen der einzelnen Produkte, die Konzeption des Kapitalmarktmodells oder der Effektivkostenberechnung. RISIKO MANAGER: Wie sollten die fünf Kategorien (nicht) interpretiert werden? Korn: Ganz klar nicht als Schulnoten, da Klasse 1 nicht besser als Klasse 5 ist, sondern zweidimensional. Klasse 1 heißt wenig Gewinnpotenzial, aber man weiß relativ genau, was am Ende erzielt wird. Klasse 5 dagegen heißt hohes Gewinn- wie Verlustpotenzial. Eine Interpolation dazwischen, um sich die anderen Klassen vorzustellen, ist sicherlich nicht ganz verkehrt. Allerdings kommt noch hinzu, dass für CRK 1 und 2 weitere Bedingungen wie z. B. die Bruttobeitragsgarantie (am Ende der Ansparphase sind zumindest das eingezahlte Kapital und alle staatlichen Boni vorhanden) gelten. RISIKO MANAGER: Auf welchen Risiko- und Performancemaßen basiert die Klassifizierung? Korn: Die Klassifizierung basiert auf der Simulation des Ablaufvermögens des Kunden am Ende der Ansparzeit. Auf Basis von 10.000 Simulationen ermitteln wir die Rendite zum Mittelwert des Ablaufvermögens als Chance sowie die Rendite zum Mittelwert des Ablaufvermögens der schlechtesten 20 Prozent aller Fälle als Risiko. RISIKO MANAGER: Warum kein einfacher Markowitz-Ansatz? Korn: Einerseits sind die Produkte relativ kompliziert dafür. Andererseits denke ich, dass der Kunde tatsächlich einem Shortfall-Risiko ausgesetzt ist. Varianz bestraft bekanntlich Änderungen in beide Richtungen, da halte ich das Shortfall-Maß über die schlechtesten 20 Prozent aller Fälle für das für Kunden relevantere Risikomaß, denn es ist nur ein Risiko, wenn am Ende der Ansparzeit wenig Kapital vorhanden ist. Ich halte es auch für leichter verständlich. RISIKO MANAGER: Welches Finanzmarktmodell dient zur Generation der Szenarien, und wie werden die Parameter des Modells geschätzt? Korn: Da im Altersvorsorgebereich Anleihen eine größere Rolle spielen als Aktien, haben wir auf deren Modellierung mehr Wert gelegt und verwenden konkret ein 2-Faktor-Hull-White-Modell. Für Aktien modellieren wir einen Basisindex mittels eines Black-Scholes-Modells, bei welchem zusätzlich stochastischer Zins, kommend aus dem Hull-White-Modell, integriert wird. Es wird weiter eine feste Risikoprämie von 4 Prozent unterstellt und die Volatilität auf 20 Prozent gesetzt. Die Zinsparameter werden an die Nelson-Siegel-Svensson-Kurve der Bundesbank angepasst und die restlichen Parameter an Marktpreise von Caps und Swaps kalibriert. Wichtig ist, dass wir nur risikoneutral kalibrieren, aber die Risikoprämie der Short-Rate aus OECD-Vorhersagen schätzen, sodass unser Modell eine historische Kalibrierung beinhaltet. RISIKO MANAGER: Liefert die Klassifizierung auch eine Aussage über die Qualität eines Produkts? Korn: Jein - die Antwort ist vielschichtig. Zum einen erfolgt die Klassifizierung auf Basis von Referenzportfolien ohne Berücksichtigung von Kosten. Dann werden Klassen so festgelegt, dass Kosten lediglich zu einer Verschiebung (mit Steigung Minus-Eins) vom Referenzwert führen. Das heißt, wie nahe man am Referenzwert liegt, ist nicht leicht festzustellen. Aber, es gibt die sogenannten Effektivkosten. Dies ist die entgangene Rendite durch Kosten. Das heißt konkret, Klassifizierung plus Effektivkosten ist ein ganz guter Hinweis darauf, wie nahe ein Produkt an der Effizienzlinie liegt. RISIKO MANAGER: Welche Freiheiten haben Sie in der Umsetzung, wo werden Methoden/ Parameter vorgegeben?

13 Korn: Alle Modelle und deren Parametrisierung für die Simulation standen bereits im Antrag, mit dem wir uns beworben hatten. Die spätere Umsetzung konkretisierte dann Fragen zur Klassifizierung, wie z. B. die nach der Gültigkeit der Bruttobeitragsgarantie für die einzelnen CRK. Vorgegeben wurde, dass immer die riskanteste Version zu unterstellen ist, wenn der Kunde wählen muss. Wenn der Kunde nur wählen darf, so ist das anders. RISIKO MANAGER: Ergeben sich durch diese Aufgabe mathematische Problemstellungen, die Ihnen auch Forschungsimpulse liefern? Korn: Ja, wobei es natürlich klar ist, dass all das, was an Modellen zur Klassifizierung notwendig ist, bereits vorab abgeschlossen sein musste – Operationen am offenen Herzen sind bekanntlich schwierig. Allerdings erkennt man immer wieder interessante Teilprobleme, bei denen z. B. die Effizienz oder die Genauigkeit der Berechnung erhöht werden kann. Eine interessante Frage ist die teils signifikante Verwandlung der Zinsstrukturkurve im Zeitverlauf bei gegebener Startkonfiguration. Konkret: Wie hängt die Zinsstrukturkurve in zehn Jahren vom heutigen Input ab? RISIKO MANAGER: Was ist schwieriger: Die technische Klassifizierung der Verträge oder die Kommunikation der Ergebnisse an die allgemeine Öffentlichkeit? Korn: Die technische Simulation der Verträge durch die Abteilung Finanzmathematik am Fraunhofer ITWM war sicher eine große Herausforderung, zumal der Anspruch einer möglichst realistischen Simulation besteht, d. h. das, was simuliert wird, soll auch sehr nahe an dem liegen, was dem Kunden zugewiesen wird. Die Kommunikation an die breite Öffentlichkeit ist definitiv eine Herausforderung, wobei ich fest glaube, dass durch die Chancen-Risiko-Klassen und die Konzentration auf Zahlen von 1 bis 5 plus Effektivkosten der Kunde tatsächlich zum ersten Mal überhaupt die Chance hat, eines dieser komplizierten Produkte neutral zu beurteilen. Ich denke, dass dies sowohl für Kunden als auch für den Vertriebler ein Vorteil ist, da letzterer nun Dinge zum Gespräch bringen kann, die früher nicht einfach zu besprechen waren. RISIKO MANAGER: Wie kann ich als Privatmensch entscheiden, welches Risikoprofil für mich richtig ist? Korn: Das ist eigentlich ganz leicht, aber Achtung, jetzt kommt etwas Eigenwerbung [lacht]. Das „Europäische Institut für Qualitätsmanagement finanzmathematischer Produkte und Verfahren“ in Kaiserslautern, kurz EI-QFM (www.ei-qfm.de), hat ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe man durch eine Selbsteinschätzung und der Beantwortung von nur drei Fragen relativ gut das Chancen-Risiko-Profil eines Kunden (oder sich selbst) einkreisen kann. Man hat damit eine Idee des Risikoprofils. Allerdings ist ein reines 1:1-Matching von Kundenprofil zu Chancen-Risiko-Klasse der Produkte falsch, da insbesondere auch die wirtschaftliche Gesamtsituation des Kunden betrachtet werden muss. Ein Kunde, der sein ganzes Leben „Klasse 5“-Entscheidungen getroffen hat, hat möglicherweise gute Gründe, dies in der Zukunft nicht mehr zu tun. RISIKO MANAGER: Wie gehen Sie technisch mit der großen Bandbreite an unterschiedlichen Produkten um? Korn: Wir waren gut vorbereitet. Wir erstellten ein umfangreiches technisches Dokument, in welchem wir die typischen Klassen und deren Simulation genau beschrieben. Wir hatten also einen Simulationsrahmen, in welchem man die Produkte bereits simulieren konnte und haben dann – stark vereinfacht gesprochen (denn direkter Kontakt zu den Anbietern ist nur in Ausnahmefällen und dann nur nach Zustimmung durch die Produktinformationsstelle gestattet) – den Anbietern gesagt: „Schaut mal, macht Ihr das so, dann ist gut, oder habt Ihr Varianten?“ Teils waren wir also gut vorbereitet, für manch spezielles Produkt mussten wir uns aber extrem viel Zeit nehmen. RISIKO MANAGER: Gibt es schon bekannte Inkonsistenzen bei der Klassifizierung? Korn: Ja. Zum Beispiel werden Produkte, die die Brutto-Beitragsgarantie nur knapp verfehlen, nicht in Klasse 1 oder 2 eingeteilt, sondern typischerweise in 3, obwohl ihre Chancen-Risiko-Charakteristiken eher der CRK 1 oder 2 entsprechen. Prof. Dr. Ralf Korn studierte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz Mathematik mit Nebenfach BWL. Im Jahr 1993 promovierte er und 1997 habilitierte er sich dort, nachdem er zuvor in 1995/96 einen Forschungsaufenthalt am Imperial College in London hatte. Seit 1999 hat er eine Professur für Finanzmathematik am Fachbereich Mathematik der TU Kaiserslautern inne. Er ist seit 2003 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik tätig, der er seit 2015 vorsitzt. Seit 2000 ist er Mitglied des Institutslenkungsausschusses des Fraunhofer ITWM in Kaiserslautern. Dort hat er 2010 das EI-QFM gegründet und ist seit 2012 ehrenamtlich als Technologiebotschafter von Stadt und Landkreis Kaiserslautern tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Portfolio-Optimierung, Modellierung von Zins- und Aktienverläufen, numerische Berechnungsverfahren (Monte-Carlo-Methoden, Baumverfahren), stochastische Steuerung, Worst-Case-Optimierung, Impulssteuerung und Werterhaltung. RISIKO MANAGER: Warum werden nur finale Klassifizierungen veröffentlicht, aber nicht die komplette Verteilung der simulierten Vermögensverteilung. Korn: Die statistische Trennschärfe bei 10.000 Pfaden reicht sicherlich aus, um in Klassen einzuteilen. Die Simulationsresultate sollen aber nicht als Vorlage für die Werbung für gewisse Produkte dienen, in der dann angegeben wird, dass das Produkt A in der Simulation um Nuancen besser war als Produkt B. Das wäre statistisch nicht haltbar, aber der Kunde könnte dies wohl nicht erkennen. RISIKO MANAGER: Wir danken für das interessante Gespräch. Das Interview führte Prof. Dr. Matthias Scherer.

RISIKO MANAGER

 

Copyright Risiko Manager © 2004-2017. All Rights Reserved.