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RISIKO MANAGER 05.2016

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38 RISIKO MANAGER 05|2016 Untersuchungsausschuss, der Gumbels Statistik zwar bestätigte, aber zu Gumbels Verblüffung frei von politischen Konsequenzen blieb. In einer späteren Veröffentlichung „Verschwörer“ beschrieb er detailliert die Entwicklung nationalistischer Geheimbünde. Beide Publikationen haben gemeinsam, dass darin namentlich Täter, Opfer, Richter, Politiker etc. gelistet werden, ungeachtet der damit verbundenen persönlichen Gefahr für Gumbel. Gumbel selbst entging im März 1919 nur zufällig der standrechtlichen Erschießung durch ein Militärkommando. Er war auf einem politischen Treffen der Friedensfreunde als seine Wohnung verwüstet und geplündert wurde. In dieser Phase seines Lebens war er mehr politisch denn wissenschaftlich aktiv, wobei viele Schriften und Reden wissenschaftliche Argumentationsketten und statistische sowie ökonomische Begründungen enthielten. Ende 1922 habilitierte er sich an der Ruprechts-Karl-Universität in Heidelberg und unterrichtete dort ab dem Sommersemester 1923 als Privatdozent für mathematische Statistik. Seine fachlichen und pädagogischen Fähigkeiten waren im Kollegium unbestritten. Doch seine streitbare, selbstbewusste und unnachgiebige Art in politischen Diskussionen, verbunden mit zahlreichen Abb. 04 Auftritten als leidenschaftlichem politischen Redner, machten ihn im Kollegium zum Außenseiter, selbst bei politisch nicht engagierten oder liberalen Kollegen. Es fällt auch auf, dass er kaum Publikationen mit Kollegen verfasste und keine Doktoranden betreute. Seine freie Zeit verbringt er lieber in politisch intellektuellen Kreisen in Berlin, unter anderem nutzt Ödön von Horváth Material seiner Sammlung für die Werke „Sladek“, als in Heidelberg. Publizistisch trat er als Übersetzer des politischen Mathematikers Bertrand Russel auf [vgl. Russel 1919], wobei zu beachten ist, dass Gumbels Übersetzung „Politische Ideale“ auch andere Reden als „Political Ideals“ enthält [vgl. Russels 1917]. Wissenschaftlich arbeitete er unter anderem an Sterbetafeln und der statistischen Beschreibung der Lebenszeitverteilung. Zum ersten Eklat kam es, als man ihm nach einer Rede im Juli 1924 über gefallene Weltkriegssoldaten vorwarf, deren Andenken zu verunglimpfen. Daraufhin, und auf Druck der protestierenden, weitgehend rechtsorientierten Studentenschaft, wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Dieses wurde im Mai 1925 gegen eine Entschuldigung Gumbels eingestellt. Doch die Tatsache, dass das Ergebnis des Ausschusses öffentlichkeitswirksam an Presse und alle deutsche Universitäten versandt Aufnahme von E.J. Gumbel. „A German leftist intellectual, pacifist, socialist, and scholar who spent most of his adult life fighting to promote German democracy against militarism and Nazism.” Zitat von Arthur Brenner. Foto: UAH Pos I 01131. Bildquelle: Universitätsarchiv Heidelberg. wurde, war eine Demütigung. Ironischerweise verhinderte dies, ihn später an einer anderen Universität zu platzieren, was wohl im Interesse aller Beteiligten gewesen wäre. Der Wortlaut des Kommissionsberichts in der Angelegenheit Gumbel ist im Anhang des wiederaufgelegten Buchs „Verschwörer“ zu finden. Daraufhin verbrachte er ein Jahr in Moskau am Marx-Engels-Institut, um die mathematischen Hintergründe in den Werken von Marx aufzuarbeiten, nebenbei schrieb er das Buch „Vom Russland der Gegenwart“. Zurück in Heidelberg verstärkten sich die Konflikte mit rechtsnationalen Studentenverbänden, die offen (via. Presse, Reden und Unterschriften) für die Absetzung Gumbels eintraten. Diesem politischen Druck wollte die Universität Heidelberg nicht länger standhalten und entzog ihm 1932 – im mittlerweile dritten Disziplinarverfahren – die Lehrbefugnis. Direkt nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde Gumbel ausgebürgert. Zu diesem Zeitpunkt hielt er eine Vortragsreihe in Frankreich, wo er im Exil blieb und sich in Lyon als Professor für Statistik (unterstützt von Maurice Fréchet erhielt er eine Stelle am ISFA) eine neue Existenz aufbaute. Er hielt zunächst Übungen, dann Vorlesungen, welche er auch als Skripte veröffentlichte. In dieser Phase war er mathematisch sehr aktiv und erarbeitete sich sein theoretisches Fundament in der Extremwerttheorie. Politisch blieb er in verschiedenen Exilgruppen aktiv und äußerte sich auch öffentlich unter anderem für Edouard Herriot, obwohl ihm dies aufgrund seines Status nicht erlaubt war. Ein Rauswurf von der Universität verhinderte damals Henri Eyraud. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen nach Frankreich floh er überstürzt [vgl. Gumbel 1941, pp. 28-57] in die USA. Dort lebte er zunächst von Stipendien der Rockefeller Foundation und kleinen Forschungsaufträgen der US-Regierung. Es fiel ihm nicht leicht, eine dauerhafte Stellung als Professor zu erlangen. Sicherlich auch aufgrund seiner unnachgiebigen Persönlichkeit, so ließ er 1944 den kompletten Jahrgang am Brooklyn College [vgl. Brenner 2001, pp. 185-186] durch die Abschlussprüfung in „Elementary Statistics“ fallen, was ihn dort den Job kostete. Doch schließlich erhielt er 1952

Marktrisiko 39 eine Dauerstelle an der renommierten Columbia Universität. Seine finanzielle Situation verbesserte sich auch durch Kompensationszahlungen die ihm 1959 zugesprochen wurden. Noch im hohen Alter schrieb er bis heute beachtete Fachartikel zur Extremwerttheorie und multivariaten Statistik. Es scheint auch, dass er nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes innerlichen Frieden gefunden hat. So äußerte er sich 1959 in einem Radio-Interview [vgl. Radio Bremen 1959] durchaus zufrieden mit seiner aktuellen Lebenssituation und betonte darin insbesondere das Glück, sich weiter (auf höherem Niveau als in Deutschland) mit der mathematischen Statistik beschäftigen zu können. In dieser Phase war er wissenschaftlich auch besser integriert, was beispielsweise durch gemeinsame Publikationen mit verschiedenen Ko-Autoren belegt ist. Auch betonte er, dass er verglichen mit vielen seiner Gesinnungsgenossen (wie Carl von Ossietzky) einen vergleichbar glimpflichen Lebensweg bestreiten durfte. Seinen trockenen Humor behielt er sich bei. So antwortete er auf die Frage nach dem Fluchtpunkt in die USA: „Wenn Herr Hitler und ich in Frankreich sind, muss einer das Land verlassen. Die Wahl zwischen den beiden war sehr einfach.“ Das Radio-Interview endet mit den Worten: „Ich bin froh zu wissen, dass heute in Deutschland die nationalsozialistische Idee keine Basis in der Jugend gefunden hat, und ich hoffe, dass dies auch für die Zukunft zutreffen wird.“ Wer sich tiefer mit der Person Gumbels beschäftigen möchte, der findet verschiedene Biographien, die insbesondere seine Rolle als aktiven Pazifisten und Zeitzeugen Deutschlands in der Weimarer Republik beleuchten [vgl. Jansen 1991, Brenner 2001]. Leider wird in den bisherigen biographischen Schriften wenig auf seine Rolle als Statistiker/Mathematiker eingegangen, auch wenn in seinen wissenschaftlichen Publikationen sicherlich viel Interessantes über seine Persönlichkeit enthalten ist. Diese Aspekte könnten Stoff für interessante Forschungsarbeiten liefern und den Blick auf Gumbel abrunden. Sein imposanter Nachlass, nicht weniger als 40 Archivboxen umfassend, lagert im Leo Baeck Institut (New York). Dieser ist weitestgehend digitalisiert und im Internet frei zugängig. Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise Brenner, A.D. (2001): Emil J. Gumbel: Weimar German Pacifist and Professor. Studies in Central European Histories, Vol. 22, Brill Academic Publishers, Inc., Boston. Durante, F.; Sempi, C. (2015): Principles of Copula Theory. Chapman and Hall/CRC. Eyraud, H. (1938): Les principes de la mesure des corrélations. Ann. Univ. Lyon Sect. A, Vol. 1, pp. 30-47. Farlie, D.J.G. (1960): The performance of some correlation coefficients for a general bivariate distribution. Biometrika, Vol. 47(3/4), pp. 307-323. Fisher, R.A.; Tippett, L.H.C. (1928): Limiting forms of the frequency distribution of the largest or smallest member of a sample. 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Herzlicher Dank gebührt Fabrizio Durante, Anne Eyraud-Loisel, Jochen Grabler, Patricia Gumbel, Peter Hieber, Stephane Loisel, Jan-Frederik Mai, Alfred Müller und Johan Segers für wertvolle Hilfe bei der Erstellung dieses Textes.

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