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RISIKO MANAGER 02.2016

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20 RISIKO MANAGER 02|2016 Risikomanagement und Spieltheorie Rechnen ohne Risiko Die Theorie der Finanzmärkte ist die bisher erfolgreichste ökonomische Theorie. Zunehmend trüben aber Missbrauch und Versagen in der Praxis den Glanz. Spektakulär war die Subprime-Krise ab Herbst 2007. Damals wurden im spekulativ aufgeblähten US-Immobilienmarkt riskante Spiele gespielt. Durch Collateralized Debt Obligations (CDOs) wurden faule Kredite in strukturierten Produkten verbaut. Gewettet wurde auf Wetten. Mathematisch war alles optimiert, die Transparenz war niedrig, die Verständnishürden lagen hoch. Solange die Herde größer wurde, ging alles gut. Als Kredite aber wie Dominosteine kippten und Zahlungsausfälle die Wahrscheinlichkeit für weitere Ausfälle erhöhten, kollabierte das System. Verloren war das Spiel, in dem Quants (quantitative analysts) herauszufinden hatten, wie viele faule Kredite sich in ein Wertpapier packen lassen, um gerade noch Triple-A-Ratings zu erreichen. Der Autor plädiert für eine Ergänzung der Finanzmathematik durch die Spieltheorie.

Kreditrisiko 21 Schwierige Fragen Versagt in Finanzkrisen der Markt oder die Theorie? Durchschauen Banker, Aufsicht und die Wissenschaftsgemeinde noch die Komplexität dessen, was sie tun? Wird die Finanzindustrie in wesentlichen Teilen zum mathematischen Glasperlenspiel, weil stochastische Modelle die Schwächen der Annahmen im mathematischen Idiom verhüllen? Warum funktioniert Finanzmathematik nur dann recht gut, wenn Erfolg daran gemessen wird, Antworten auf Fragen zu erhalten, die zu den Theoremen passen? Ist der Zustand der Finanzbranche eher schlecht, weil im bipolaren Spannungsfeld von Kontrollillusion und Kontrollverlust nach Grenzen und Möglichkeiten der Modelle nicht gefragt wird? Hat die Mathematik die Finanzkrisen nicht nur nicht vorhergesehen, sondern sogar mit ausgelöst? Ist es fahrlässig, mit nur einem Modell einen Preis zu berechnen, der mit anderen Modellen anders aussehen würde? Die Liste schwieriger Fragen zur Performance von Risikomanagement erscheint beliebig fortsetzbar. Einige der Fragen sollen im Folgenden etwas genauer erörtert werden. Die Antworten führen auf das Feld der Spieltheorie. Hier ist wichtig, dass die Spieltheorie den Finanzmarkt nicht nur als steriles Casino (Zufallsverteilung) sehen muss, das auf der theoretischen Ebene von Gleichgewichtstheoremen getrieben wird, die von Gleichgewichtspostulaten der Newtonschen Physik abgeleitet sind, sondern auch als ein interaktives System sehen kann, was auf der praktischen Ebene durch Rückkoppelungsprozesse getrieben wird. Wie der Finanzmarkt funktioniert spielt keine Rolle Dass in der Finanztheorie auf der atomaren Ebene der Marktteilnehmer die Struktur von Unwägbarkeiten nicht gut verstanden wird, sollte nicht wirklich überraschen. Schon ein flüchtiger Blick auf wichtige Grundpfeiler des Theoriegebäudes zeigt, dass „Dynamic Stochastic General Equilibrium“-Modelle eine Idealwelt aufspannen, in der vage ökonomische Metaphern wie die „unsichtbare Hand“ grob verkürzen statt zu erklären. Ein Beispiel dafür ist das Bild, dass Marktteilnehmer eigenschaftslose Klone sind, die unabhängig voneinander zur Optimierung ihres Vermögens rational handeln. Auch sind Finanzkrisen nur durch exogene Schocks und nicht aus dem System heraus (endogen) zu erklären. Dies ist dem Bild des Finanzsystems als mechanistischem System geschuldet, das sich nur in die Richtung berechenbarer Gleichgewichte entwickeln kann, da die Dynamik nach den Postulaten der Newtonschen Physik formalisiert wird. Hinzu kommt eine regulatorische Praxis, die in der Anwendung durch eine sehr ambitionierte modellgestützte Regulierung nach Kennzahlen zum einen wenig Anreize setzt, eigenständig Risikourteile zu erarbeiten und zum anderen durch administrierte Preisfindungsprozesse bekannterweise schnell zu einer Synchronisierung von Entscheidungen führen kann, die systemisch verhängnisvoll ist. Dass Endogenität und nicht Exogenität für die Instabilität des Finanzsystems sorgt und die Finanzwelt dennoch weiter durch eine Logik aufbereitet wird, die es so nicht gibt, erfordert zeitnah die Ergänzung durch Problemlösungen. Da Finanzmodelle wegen grundsätzlicher konzeptioneller Mängel den Bedingungen einer Finanzsystemkrise nicht standhalten können, ist auch mit „anderer“ Mathematik am großen Spiel zur Veränderung der Spiele anzusetzen. Wie kam es dazu, dass durch die Metaphorik der Newtonschen Physik und Postulate der Neoklassik komplexe Probleme mit Kalkülen wie der Nutzenmaximierung mathematisch streng, schlank, elegant und performant gelöst werden können? Energiekonzept als Inspiration Die Grundidee der Finanzökonomie stammt aus der Biologie. Im Jahr 1827 entdeckte der schottische Botaniker Robert Brown erratische Zick-Zack-Bewegungen bei in Flüssigkeiten schwimmenden Pflanzenpollen. Diese Beobachtung griff im Jahr 1900 der französische Mathematiker Louis Bachelier in seiner Dissertation „théorie de la spéculation“ auf. Als er an der Pariser Börse keine statistischen Regelmäßigkeiten fand, um eine Bewertungsformel für Rentes (eine Art Bundesanleihen) anzugeben, nahm er an, dass Kurse so verlaufen müssten, als wären sie zufällig erzeugt worden. Er setzte eine Brownsche Bewegung an. Der Kunstgriff war folgenreich. Bis heute sind Kursprozesse reine Zufallsprozesse (Random Walks). Die up/ down-Bewegungen werden als normalverteilt angenommen. Schwankungen im Zeitablauf sind unabhängig, und die vergangene Kursentwicklung lässt keine Rückschlüsse auf zukünftige Kurse zu. Das Geschehen gleicht dem Heimweg eines Betrunkenen: Jeder seiner Schritte ist nur schwer vorhersagbar. Ungewiss ist, welchen Weg er wählen wird. Gewiss ist nur, dass er ein Ziel hat. Dies verbindet stochastische Prozesse mit Trendkomponenten. Dass sich (Finanz-)Ökonomen heute wie Physiker verhalten (müssen!) und die moderne (Finanz-)Ökonomik eine Parallelentwicklung zur exakten Naturwissenschaft zeigt, wurzelt in der Fortführung der Mathematisierung der Brownschen Bewegung auf dem Feld physikalischer Wechselwirkungen. Formal abgeschlossen wurde Bacheliers Theorie der Spekulation mit dem Beweis der Existenz der Brownschen Bewegung durch Norbert Wiener. Sein rigoroser Zugang war der Beginn der streng mathematischen Analyse der ungerichteten Zufallsbewegung von Teilchen (Diffusion) als stochastischer Prozess. Weniger bekannt ist, dass Bachelier Eigenschaften der Brownschen Bewegung fand, bevor Albert Einstein im Jahr 1905 die Bewegung eines Schwebeteilchens in Raum und Zeit als Diffusionsprozess durch eine partielle Differentialgleichung mathematisch präzise beschrieb, die er aus der Theorie der Wärmeleitung ableitete. Bachelier, Einstein und Wiener hatten den Prototyp des reinen Zufalls im Zeitablauf gefunden. Für die Stochastik hat die Brownsche Bewegung die gleiche Bedeutung wie die Normalverteilung für die Wahrscheinlichkeitstheorie. Erstere ist anzusetzen, wenn die Kraft für Veränderungen von Zuständen keine räumliche Richtung bevorzugt und in ihren Wirkungen von der Vergangenheit unabhängig

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