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RISIKO MANAGER 17.2015

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26 Ausgabe 17/2015

26 Ausgabe 17/2015 Bedeutung war hierbei für uns das Buch von Harry Joe aus dem Jahr 1997. Wir entschlossen uns, den RiskLab-Bericht von 1998 zusammen mit Alexander McNeil und Daniel Straumann zu schreiben. Dieser Aufsatz führte zu einem Umschwung bei der Betrachtung der Abhängigkeit. Dieser Aufsatz war als ein Beitrag zu dem „Brückenbau“ vorgesehen, auf den weiter oben angespielt wurde. Aus diesem Grund haben wir ihn keiner Fachzeitschrift vorgelegt. Ich wollte nicht, dass irgendein Gutachter oder Herausgeber auch nur ein Wort daran änderte. Letztlich erschien der Aufsatz (2002) in einem Protokoll einer Konferenz des Newton Institute in Cambridge. Wir wollten das einfach in irgendeiner Form festhalten. Ursprünglich aber war der Aufsatz als ein typischer RiskLab- Beitrag zum Austausch zwischen Akademia und Industrie im Bereich des finanziellen Risikomanagements bestimmt. Mittlerweile wurde weit über 2000 Mal darauf verwiesen, was für einen „einfachen Bericht“ nicht schlecht ist. Ich bin auch heute noch sehr stolz auf diesen Aufsatz. Trägt ein bestimmtes Copula-Modell oder ein Mathematiker die Schuld an der Finanzkrise? Paul Embrechts: Auf keinen Fall! Sie spielen hier natürlich auf die Gauß-Copula an, die in einem Aufsatz im Wired Magazine aus dem Jahr 2009 als der Bösewicht hinter der Krise dargestellt wurde. Der Titel des Aufsatzes lautete: Recipe for disaster: the formula that killed Wall Street. Es würde zu weit führen, hier auf alle (mittlerweile historischen) Einzelheiten im Zusammenhang mit dieser Diskussion einzugehen. In meinem 2010 zusammen mit Catherine Donnelly im ASTIN Bulletin veröffentlichten Aufsatz The devil is in the tails: actuarial mathematics and the subprime mortgage crisis findet sich hierzu eine umfangreiche Darstellung. Lassen Sie mich nur eines sagen. Wenn die Antwort auf Ihre Frage „Ja“ wäre, könnte das System sehr einfach in Ordnung gebracht werden. Wie sich gezeigt hat, ist dies aber nicht der Fall. Grob gesagt machen Portfoliokreditderivate wie CDOs die abstrakte Vorstellung von „Abhängigkeit“ zu einem handelbaren Vermögenswert. Diese Produkte (und deren missbräuchliche Verwendung) werden häufig für die Finanzkrise ab dem Jahr 2006 verantwortlich gemacht. Inwieweit stimmen Sie dieser Kritik zu, und warum ist es so kompliziert, diese Produkte zu verstehen (und damit zu arbeiten)? Paul Embrechts: Ich verweise noch einmal auf den oben erwähnten Aufsatz und die überarbeitete Ausgabe unseres Buchs zum quantitativen Risk Management. Hier finden sich alle Einzelheiten zu diesem Thema. Eine Vielzahl von Büchern, Aufsätzen und Berichten wurde mit dem Ziel verfasst, eine Antwort auf Ihre Frage zu finden. CDO-ähnliche Produkte und die diesen zugrunde liegenden Versicherungsgeschäfte, die CDS, tragen mit Sicherheit eine Teilschuld. Während die ursprünglich verfolgten Ziele der Forderungsabsicherung vielleicht noch in Ordnung waren, hat die Jagd nach Rendite deren Marktanteil Bildquelle: WU Wien derart aufgeblasen, dass die Nennwerte solcher Produkte gegen 2007 astronomische Ausmaße erreichten: CDOs (2–3 Bio. US-$), CDS (30 Bio. US-$), OTC-Produkte (600 Bio. US-$). Die unglaubliche Höhe dieses (Nennwert-)Volumens wird im Vergleich mit dem weltweiten BIP zum damaligen Zeitpunkt deutlich. Dieses stand bei ungefähr 60 Bio. US-$. Bedenken Sie – eine Billion entspricht einem Wert von zehn hoch zwölf! Die Kunden haben den Investmentbankern diese Produkte förmlich aus der Hand gerissen, und die Banken haben die als risikofrei wahrgenommenen oberen Tranchen von CDOs im Wert von mehreren Mrd. US-$ in Form von Warehousing-Konstruktionen erworben. Das Bankwesen war folglich seit Langem in einer katastrophalen Situation. Ausgelöst wurde die Krise schließlich durch den starken Abschwung auf dem amerikanischen Immobilienmarkt im Jahr 2006. Es sollte auch daran erinnert werden, dass (vor allem amerikanische) Politiker das Wachstum dieser Märkte unterstützt und sogar angetrieben haben. Warnungen gegenüber der Öffentlichkeit gab es (abgesehen von einigen lobenswerten Ausnahmen) nicht. Stellen Sie also noch einmal Ihre Frage! Eine hohe Komplexität der Produkte bestand mit Sicherheit beim Höhepunkt der Spekulationsblase, als Produkte wie CDO- Squared und CDO-Cubed verkauft wurden und niemand wusste, wie man diese bepreisen, geschweige denn absichern sollte. Die Konsequenzen dieses Wahnsinns manifestieren sich jetzt in Form hoher Geldstrafen für die Investmentbanken, die diese Produkte auf den Markt gebracht haben, und für die Privatkundenbanken, die diese Produkte in die Portfolios ihrer Kunden aufgenommen haben. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt die höchste Einzelgeldstrafe in dieser Sache bei 16 Mrd. US-$. Das operationelle Risiko wirft seinen Schatten auf den Markt! Könnten Sie ein Finanzprodukt entwickeln, über das Abhängigkeit gehandelt werden kann und das nachhaltiger ist als CDOs? Paul Embrechts: Eine interessante Frage, über die ich noch nicht wirklich nachgedacht habe. Ich bin mir sicher, dass das möglich ist. Dies setzt jetzt voraus, dass nicht dieselben offensichtlichen Konstruktionsfehler begangen werden wie in der Vergangenheit. Auf dem Markt werden zum Beispiel sogenannte Korrela-

27 tions-Swaps angeboten. Soweit ich weiß, gibt es jedoch kein Standardverfahren für deren Bepreisung/Absicherung. Ebenfalls im Versicherungsbereich breiten sich verstärkt sogenannte Multiline-Produkte oder ART-Produkte (Alternative Risk Transfer) wie Double-Trigger-CAT-Bonds aus. In all diesen Fällen ist ein gutes Verständnis der Abhängigkeitsmerkmale der zugrunde liegenden Risikotreiber unerlässlich. In seinem kontrovers diskutierten Aufsatz „Copulas: Tales and Facts“ kritisiert Thomas Mikosch die übermäßige/missbräuchliche Verwendung von Copulae. Welchen Standpunkt vertreten Sie in dieser Debatte? Paul Embrechts: Dies könnte das Thema eines gänzlich neuen Gesprächs sein! Zunächst einmal wurde die Copula-Modellierung zu diesem Zeitpunkt nicht nur von Thomas Mikosch kritisiert. Weitere Kritiker (persönliche Kommunikation) waren Chris Rogers (Cambridge) und Darrell Duffie (Stanford), sei es mit einer anderen Wortwahl/Intensität und unterschiedlichen Argumenten oder aus einer anderen Perspektive. Ich habe offiziell auf die kritischen Bemerkungen von Thomas Mikosch geantwortet (Extremes, 2006) und muss deshalb meine Sichtweise hier nicht noch einmal wiederholen. Andere haben die Bedeutung der Copulae sofort erkannt. Der Nobelpreisträger Robert Engle (NYU) beispielsweise übergab den Bericht seinem damaligen Doktoranden Andrew Patton (jetzt an der Duke University) mit den Worten: „Sehen Sie sich das für Ihre Doktorarbeit an.“ In ähnlicher Weise erwies sich für Regulatoren die „über die lineare Korrelation hinausgehende Denkweise“ von großem Nutzen. Wie so oft beim Zusammentreffen von Wissenschaft und Praxis liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Thomas Mikosch hat in seinem Aufsatz Hans Christian Andersen zitiert: „Aber er hat ja gar nichts an!“. Damit verweist er auf den Umstand, dass Copulae aus mathematischer Sicht bereits seit dem Beginn der Wahrscheinlichkeitsrechnung bestehen. Die mehr statistische und numerische Arbeit war jedoch zu diesem Zeitpunkt absolut neuartig und interessant, und sie ist es auch weiterhin. Für mich entscheidend ist, dass bei vielen Problemen aus der Praxis des Risikomanagements keine gemeinsamen Modelle zur Verfügung stehen. Copulae bieten uns zumindest einen ersten (wenn auch vielleicht nicht endgültigen) Ansatz zur Entwicklung von Modellen, die für Zwecke der Bepreisung oder Aggregation genutzt werden können. Ich habe hier ganz bewusst den Plural „Modelle“ verwendet, weil ich die Copula-Modellierung häufig als eine Art von Stresstest für die Abhängigkeit verwende. Zu dem Zeitpunkt, zu dem wir den ursprünglichen RiskLab- Bericht verfasst haben, hat die Copulabasierte Denkweise außerdem vielen Endanwendern und Wissenschaftlern auf dem Gebiet der angewandten Forschung die Augen für die verschiedenen Tücken geöffnet, die bei der ausschließlichen Berücksichtigung der linearen Korrelation bestehen. Ich sage deshalb oft, dass Copulae aus zwei Gründen wichtig sind – aus pädagogischen Gründen und für Stresstests. Mittlerweile wurden sie in jedem mir bekannten wissenschaftlichen Gebiet angewendet. Weitere Einzelheiten zu den frühen Aspekten in dieser Sache enthält mein Aufsatz Copulas: A personal view. Aber wie ich bereits gesagt habe, bietet die - ses Thema Stoff für ein gesondertes Gespräch. Ist es wahrscheinlicher, dass die Credit Suisse innerhalb der nächsten fünf Jahre zahlungsunfähig wird oder dass Belgien in diesem Jahrhundert die Fußballweltmeisterschaft gewinnt? Paul Embrechts: Als belgischer (und jetzt auch schweizerischer) Staatsbürger sehe ich im letzteren Fall eine Wahrscheinlichkeit gleich 1! Beide der obigen Ereignisse beziehen sich auf Wahrscheinlichkeiten, zu denen der Markt eine Meinung hat, und es bestehen verschiedene statistische Werkzeuge zur Herangehensweise an diese Frage. Welche Wahrscheinlichkeit ist Ihrer Ansicht nach jedoch schwerer zu berechnen? Paul Embrechts: Ich könnte meine Antwort hinter den intellektuellen Aussagen von Giganten wie Frank Knight und John Maynard Keynes verstecken und einfach sagen, dass diese Ereignisse sich einer präzisen quantitativen Beurteilung weitgehend entziehen. Natürlich stellt der Markt auch hierzu Informationen bereit. Im Fall der Credit Suisse etwa über quotierte CDS oder Rating-Wahrscheinlichkeiten. Die Buchmacher in Großbritannien bieten zweifellos Wetten für Fußballmeisterschaften an. Ich wäre aber überrascht, wenn diese so langfristig angelegt wären. Der Wert einiger dieser Einschätzungen kann infrage gestellt werden, um es milde auszudrücken. Im Hinblick auf die Finanzkrise (aber auch auf die Statistik in der Medizin und allgemein auf Fragen im Zusammenhang mit Big Data) stellt sich die Frage, welche Verantwortung wir als Forscher in der (angewandten) Mathematik gegenüber der Gesellschaft haben. Wie sehen Sie das? Paul Embrechts: Dies ist eine Sache, die mir wirklich am Herzen liegt. In meinen Antworten auf einige der vorhergehenden Fragen habe ich bereits auf unsere soziale Verantwortung als Akademiker verwiesen. Hierbei beziehe ich mich ganz deutlich auf Bildquelle: Paul Embrechts

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