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RISIKO MANAGER 17.2015

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24 Ausgabe 17/2015 bau

24 Ausgabe 17/2015 bau anzuknüpfen – Kommunikationsfähigkeiten sorgen für einen reibungslosen Informationsfluss über diese Brücke zwischen Industrie und Akademia. Wie kann der gegenseitige Wissensaustausch zwischen Akademia und Praxis verbessert werden? Anders ausgedrückt – warum dauert es häufig so lange, bis Forschungsergebnisse von der Industrie genutzt werden? Paul Embrechts: Dies ist eine Frage, die weit über die Mathematik als wissenschaftliche Disziplin hinausgeht. Entsprechend ist es schwer, dies in einigen wenigen Sätzen zu beantworten. Erfolgreiche Ansätze waren für uns zum Beispiel die Einrichtung von gemeinsamen Kontaktplattformen wie RiskLab und unser jährlich abgehaltener Risk Day, bei dem Akademiker und Industrieexperten aktuelle Ergebnisse/Themen vorstellen. Das breite Publikum bei dieser Veranstaltung umfasst mittlerweile mehr als 300 Teilnehmer, einschließlich Studenten. Wir betreuen außerdem einen hohen Prozentsatz unserer Masterarbeiten und auch einige Doktorarbeiten zusammen mit der Industrie. Wie bereits zuvor erwähnt, treffe ich mich zudem regelmäßig mit ehemaligen Studenten, die jetzt in der Industrie arbeiten, zu gemeinsamen Mittag- oder Abendessen oder auch einfach zu Gesprächen in meinem Büro. Auf diese Weise habe ich meine Hand immer am Puls des Markts. Es ist nicht so, dass die Industrie auf uns wartet. Wir müssen uns aus unserem Elfenbeinturm wagen, und das erfordert häufig intellektuellen Mut und in der Regel viel Zeit. Gibt es Gegenbeispiele, bei denen eine Forschungsarbeit sofort von der Industrie aufgenommen wurde oder sogar aus der Industrie hervorging? Paul Embrechts: Natürlich, da gibt es viele. In meinem persönlichen Fall könnte ich zahlreiche Beispiele aus den Bereichen der Copulae und der Risikoaggregation sowie der Schaffung spezieller Finanzderivate nennen. Im letzteren Fall stammen die meisten der interessanten und erfolgreichen Produkte aus der Industrie. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Einrichtung von Plattformen für das quantitative Risikomanagement Mitte der Neunziger in Banken wie JP Morgan. Denken Sie etwa nur an RiskMetrics und Credit- Metrics. Beinhaltet die perfekte Vita eines Professors Ihrer Meinung nach einige Jahre Industrieerfahrung? Wie können junge Forscher dies in der Praxis erreichen? Paul Embrechts: Diese erste Frage kann ich nicht eindeutig bejahen. Es hängt sehr stark vom Forschungsgebiet ab. Nur in sehr wenigen Fällen würde ich eine solche Kombination voraussetzen. Derzeit führe ich beispielsweise den Vorsitz eines Ausschusses für eine neue Professur im Bereich des Unternehmertums (in einer anderen Fakultät als der mathematischen). In diesem Fall ist praktische Erfahrung natürlich ein Plus oder sogar ein Muss. Letztendlich kommt es aber wie immer auf den richtigen Ausgleich an. Generell wird die Vita eines Professors immer noch vorwiegend, wenn nicht gar ausschließlich, nach den akademischen Leistungen beurteilt. In praxisnahen Forschungsbereichen wie in meinem Fall in der Versicherungsmathematik bieten sich verschiedene Möglichkeiten, um Industrieerfahrung in den Lebenslauf zu integrieren. An der ETH fördern wir dies durch verschiedene Kurse, die von ehemaligen Studenten (hauptsächlich Doktoren) abgehalten werden, die jetzt in der Industrie arbeiten. Diese können schließlich auch den Status als außerplanmäßiger Professor erhalten. Jungen Forschern rate ich Folgendes: „Bauen Sie eine starke akademische Vita mit relevanter Universitätserfahrung im Ausland auf.“ Gibt es „Todsünden“, die in der aktuellen Praxis des Risikomanagements wiederholt begangen werden? Bildquelle: ETH Zürich/Tom Kawara Paul Embrechts: Ich würde es nicht „Todsünden“ nennen, aber wiederholt begangene Fehler gibt es durchaus. Allzu oft ist man sich in der Praxis nicht über die Beschränkungen und Bedingungen bewusst, die für den Einsatz eines bestimmten Werkzeugs für das quantitative Risikomanagement gelten. Einige Bereiche des quantitativen Risikomanagements scheinen rein theoretischer Art oder zumindest nicht mit der Realität verknüpft zu sein. Hierunter fällt zum Beispiel die zunehmende Literatur zu stochastischen Prozessen, die zur Bepreisung eingesetzt werden. Teilen Sie diese Ansicht? Paul Embrechts: Dies ist mehr eine Frage der Entwicklung (nennen wir es „Reife“) sowohl in der Akademia als auch in der Praxis. Quantitatives Risikomanagement im weitesten Sinne hat sich zu einer arrivierten akademischen Subdisziplin entwickelt. Ein Kontakt zur Industrie ist für diesen Bereich nicht mehr unbedingt erforderlich, um akademisch zu gedeihen. Dass in einem solchen Rahmen rein akademische Forschungen durchgeführt werden, finde ich in Ordnung. Demgegenüber halten aber Teile der Industrie ein weitergehendes quantitatives/mathematisches Denken für nicht mehr erforderlich. Deren Standpunkt lautet: „Wir wissen bereits alles, und mehr würde nur schaden.“ Beide Situationen sind zu beobachten. Wie aus meinen Antworten weiter oben deutlich geworden sein sollte, schließe ich mich keinem dieser Extreme an. Was die von Ihnen erwähnte zunehmende Literatur zu stochastischen Prozessen zur Bepreisung angeht – hier wartet die Industrie natürlich mit sehr anspruchsvollen Datenstrukturen und komplizierten Produkten auf, die bepreist und abgesichert werden müssen. Denken Sie zum Beispiel an Energiederivate oder Produkte, die im Lebensversicherungsgeschäft eingesetzt werden. Weiterentwicklungen auf einer mehr methodologischen Ebene sind also mit Sicherheit vonnöten. Beinhaltet das Rezept für den „perfekten Aufsatz“ mehr theoretische Ergebnisse oder mehr Anwendungen? Paul Embrechts: In meinem Fall der angewandten Versicherungsmathematik ist es ganz klar eine Frage des Gleichgewichts. Meine jüngsten Aufsätze gehen häufig von einer konkreten praktischen Frage aus und entwickeln dann die mathematischen Werkzeuge (unter anderem statistische

25 und numerische Software), um das Problem zu lösen oder besser zu verstehen. Auf der anderen Seite sind einige der Aufsätze, auf die ich besonders stolz bin, eher theoretischer Art. Ich schreibe oftmals zunächst einen eher methodologischen Aufsatz, in dem ich auf den praktischen Hintergrund eingehe. In einem anschließenden Aufsatz beziehungsweise Bericht konzentriere ich mich dann auf praktische Neuformulierungen und/oder ich stelle verschiedene numerische oder datengestützte Beispiele bereit. Dieses Gleichgewicht lässt sich sehr gut bei unserem Buch zum quantitativen Risk Management beobachten, das wir zusammen mit der Princeton University Press herausgegeben haben. Hiervon ist kürzlich eine überarbeitete Ausgabe erschienen. Mein früheres Buch zur Extremwerttheorie, das 1997 im Springer-Verlag veröffentlicht wurde, ist mehr in der Theorie angesiedelt. Wir haben aber auch hierfür viel Beifall aus der Industrie erhalten. Wir haben sogar einen einwöchigen Kurs für Regulatoren bei der Federal Reserve Bank of Boston abgehalten. Stellen Sie sich vor, dass Sie nach Ihrer Pensionierung im Jahr 2018 eine zweite Karriere als Regulator beginnen. Was würden Sie in einem neuen Bericht zu „Basel X“ oder „Solvency Y“ sehen mögen, für den Ihr Team verantwortlich ist? Sie als Regulator – ist das ein realistisches Szenario? Paul Embrechts: Insgesamt würde ich einen besseren Ausgleich zwischen quantitativen und qualitativen Ansätzen für das Risikomanagement anstreben. Selbst als Mathematiker habe ich das Gefühl, dass in manchen Bereichen eine gewisse Überquantifizierung stattgefunden hat. Ein typisches Beispiel hierfür ist der fortgeschrittene Messansatz in seiner Form des Verlustverteilungsansatzes zur Messung des operationellen Risikos. Die letztere Klasse ist von eminenter Bedeutung. Hierbei genügt ein Blick auf die kürzlichen Verluste hauptsächlich durch Rechtskosten. Angesichts der Menge und Komplexität der verfügbaren Daten sind jedoch eine vollständige Analyse nach dem Verlustverteilungsansatz und eine Kapitalberechnung auf der erforderlichen Jahresebene von 99,9 Prozent für den Wert im Risiko aus methodologischer Sicht nicht zu erreichen. Wir sollten den Mut haben, das zuzugeben und entsprechend zu handeln. Es könnten beispielsweise niedrigere Quantile angesetzt und Skalierungsfaktoren eingeführt werden. Auch die einfachen oder standardisierten Ansätze sollten nicht so ohne Weiteres beiseite gelegt werden, selbst von den sogenannten „anspruchsvolleren Banken“. Ein weiteres und nicht unverwandtes Problem ist die Modellunsicherheit, die weiterhin eine prominente Rolle einnehmen sollte. Schließlich würde ich noch bei jeder Neuentwicklung von Richtlinien eine kleine Arbeitsgruppe mit der Untersuchung beauftragen, inwieweit die neuen Regelungen ausgenutzt werden können. Wenn die Regulatoren diesen Schritt nicht konsistent durchführen, macht die Industrie dies mit Sicherheit – und zwar unter Einsatz eines ganzen Heers von quantitativen Analysten und Anwälten! Ich sage nicht, dass diese Vorgehensweise innovativ wäre. Als neuer Regulator würde ich aber jedenfalls Zeit und Energie investieren, um Lösungen für diese Probleme zu finden. Im Zusammenhang mit meinen vorherigen Antworten bräuchte ich aber vielleicht erst einmal ein wenig Zeit, um mich „vor Ort (bei der Finanzmarktregulierung)“ einzuarbeiten. Ich möchte natürlich nicht zu schnell mit meinen in der Ferne gewonnenen und vielleicht sogar naiven Ansichten über erforderliche Änderungen/Korrekturen vorpreschen. Bei der Frage bezüglich eines möglichen Engagements als Regulator verweise ich zunächst auf meine hervorragenden Kontakte zu Regulatoren sowohl im Versicherungs- als auch im Bankwesen auf der ganzen Welt. Für die wichtigsten Regulatoren habe ich Vorträge und sogar Kurse abgehalten. Was die Schweiz anbelangt, wurde mir bereits zweimal ein offizielles Angebot für eine solche Beschäftigung unterbreitet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist mir dies aus Zeitgründen nicht möglich, aber wir sprechen ja von der Zeit nach 2018. Es ist also alles möglich. Neben vielen anderen Dingen haben Sie vielleicht als Erster den Schwerpunkt auf finanzielle Anwendungen der Abhängigkeit (insbesondere Copulae) gesetzt. Hier ist der berühmte RiskLab-Bericht von 1998 zu nennen. Wie sind Sie auf Copulae gestoßen – oder war es umgekehrt und die Copulae fanden Sie? Paul Embrechts: Die Copulae „fanden mich“ um 1995/96 bei der Suche nach einer Lösung für eine regionale Versicherungsgesellschaft. Es ging um die Simulation eines bivariaten Versicherungsportfolios mit bestimmten Randverteilungsfunktionen und einer vorgegebenen linearen Korrelation. Ein einfaches Copula-Argument zeigte in diesem Fall, dass das gewünschte Modell nicht existierte. In diesen frühen Tagen des quantitativen Risikomanagements (das Value-at-Risk-Modell war gerade erst geboren) taten sich weitere Fragen auf, aus denen deutlich wurde, dass die Finanzindustrie ein sehr schlechtes Verständnis von Abhängigkeit hatte. Selbst der allgegenwärtige Begriff der linearen Korrelation wurde falsch ausgelegt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch in anderen Aufsätzen auf diesen Missstand hingewiesen, hauptsächlich in der versicherungsmathematischen Literatur. Von großer Bildquelle: Paul Embrechts

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